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Kunst, nicht Werbung

Sicher: Der Text besticht nicht gerade durch luzide Analyse. KPÖ-Landtagsabgeordnete Renate Pacher schreibt: „Damals [während der NS-Zeit, Anm.] hieß die Losung: ‚Es gibt keine Klasse, nur ein deutsches Volk‘. Und heute heißt es: ‚Wir sitzen alle im selben Boot. Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut...‘. Und ganz aktuell sagt man: ‚In der Krise müssen alle ihren Beitrag leisten‘. Die alten Lügen in neuem Gewand. Nur, die einen zahlen den ‚Beitrag‘ in Form von Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Verelendung und im schlimmsten Fall auf dem Schlachtfeld oder im Gefängnis. Den anderen winkt nicht selten Straflosigkeit und oft genug eine fette Dividende.“ Pachers Statement ist, in Kombination mit dem Bild einer NS-Feier in Graz, Teil des Kunstprojektes „63 Jahre danach“ von Jochen Gerz, der das Musterbeispiel für ein partizipatives Kunstwerk konzipierte: Die LeserInnen der „Kleinen Zeitung“ sollten über Fotos und über PolitikerInnen-Statements abstimmen, die schließlich gemeinsam auf Tafeln in Graz sowie kleineren steirischen Orten präsentiert wurden. Nun hat, im letzten Moment, die Wirtschaftskammer die Einwilligung zur Aufstellung der Tafel mit Pachers Text auf ihrem Gelände zurückgezogen. Dieser, bekannt seit 8. Juli 2009, verhöhne die steirische Wirtschaft, heißt es. Interessant: Offenbar assoziiert die Wirtschaftskammer Steiermark ihre Mitglieder mit (hier als ungerechtfertigt insinuierter) „Straflosigkeit“ und (abwertend gemeinter) „fetter Dividende“ – eine sonderlich hohe Meinung scheint sie also nicht einmal selbst von den derart angeblich Verhöhnten zu haben. Oder stehen in der Steiermark ganz offiziell Sich-Durchschwindeln und Leute-Ausbeuten für guten Unternehmersinn? Doch das Grundübel ist ein anderes. Wie üblich liegt mal wieder eine Verwechslung zwischen Kunst und Werbung vor, ähnlich, wie bei der jüngsten Erregung um Christoph Büchels Swingerclub (da ereiferten sich ausgerechnet jene am meisten, die selber von der Werbung leben – nämlich jener für Prostituierte, die um 30 Euro zur Verfügung stehen und also aller Wahrscheinlichkeit nach in irgendeiner Form brutal unterdrückt sind). Trotz einer langen kunsthistorischen Tradition in diesem Land haben weite Teile – und hier sprechen wir nicht einmal von den sogenannten „bildungsfernen Schichten“ – eine ganz simple Tatsache noch immer nicht kapiert: Nur, weil irgendwo was draufsteht oder abgebildet ist, heißt dass nicht, dass dafür geworben wird. Sonst wäre ja ein Christus am Kreuz nichts anderes als eine Aufforderung zum Mord, die Susanna im Bade eine Animation zur sexuellen Belästigung, und über die Häutung des Marsyas oder die Marter des Hl. Bartholomäus wollen wir erst gar nicht reden. Jochen Gerz‘ Kunstwerk besteht darin, dass er sich ein Konzept ausgedacht und konsequent umgesetzt hat. Selbstverständlich will die KPÖ-Abgeordnete politisches Kapital daraus schlagen; nur ist ja offenkundig die Demonstration genau solcher Mechanismen – auch – intendiert. Der Kunst einen „politisch motivierten Klassenkampf“, wie es die Wirtschaftskammer tut, zu unterstellen, ist daher realitätsfern und lächerlich. Und das kurzfristige Erzwingen des Baustopps – nachdem schon Erde ausgehoben, ein Betonfundament eingebaut und die Tafeln aufgestellt wurden – kann wohl nur als unökonomisch bezeichnet werden.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Ergänzung
Kurt Kratzel | 22.03.2010 06:32 | antworten
Bezeichnend ist auch, dass eine Anzahl von Gemeinden die Aufstellung der Tafel untersagt hat. Nachzulesen auf jener Tafel, die im Augarten in Graz steht.

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