Rainer Metzger,
Vom Aufenthalt
„Nicht bloß wiederholt sich die Tragödie in der Geschichte als Farce, sondern die Unentrinnbarkeit der Farce nimmt tragische Züge an.“
Reaktionäre sind womöglich die schlechteren Menschen als die Progressiven, aber sicher die besseren Literaten. Die Baudelaire-Flaubert-Stifter, die Cioran–Céline-Jean Améry hatten jedenfalls nicht den Ausweg, an die Perfektibilität der Zeitgenossen und ihrer Gegenwart zu glauben und jedes Problem einzuwattieren in die Hoffnung auf den Fortschritt. Für jeden Reaktionär ist der Status Quo ungenügend, weil er davon ausgeht, dass er schon einmal ausgezeichneter war. Mit den formalen Mitteln seiner Kunst sucht er diesen Zustand zu restituieren. Vor allem auch weiß er, wie dieser Zustand aussieht, war er doch schon da.
„Die unsinnigen Utopien des Aufklärungszeitalters haben verhindert, daß wir unsere Jenseitsvorstellungen pflegen und verbessern. Bis heute sind wir im Grunde über Swedenborg und Fechner nicht hinaus. Ließe sich aber etwas Tröstlicheres ausmalen, als zu den Ahnen versammelt zu werden? In die Wiederherstellung aller Dinge hinüberzutreten, um darin leicht zu leben? Zum Glück bleibt der Glaube für Innovationen unzugänglich.“
Als der Reaktionär unter den deutschsprachigen Dichtern von heute sticht Botho Strauss hervor. Als Essayist hat er sich einst mit einem Nachwort zu George Steiners Kunst-Theologie „Von realer Gegenwart“ zu Wort gemeldet und ganz eindeutig anitliberale Händel betrieben mit einer Vorstellung von Meisterwerk, das, wie Steiner überzeugt war, ohne das Absolute eines Gottes nicht verwirklichbar ist. Strauss’ Epilog war peinlich, doch seither hat er seine Ästhetik deutlich niedriger gehängt, und er betreibt eine Phänomenologie des Innehaltens. „Vom Aufenthalt“ ist sein neues Buch.
Botho Strauss, Vom Aufenthalt, München: Hanser 2009
„Ich fühle nur die kleinen Lücken, die meine Lieblingsautoren in ihren Büchern ließen. Was ich schreibe, hätten auch sie noch schreiben können. Dann und wann haben sie einen verspäteten, posthumen Einfall – dafür gibt es mich.“
Strauss ist seit langem Aphoristiker. Alle paar Jahre schreibt er sich – konsequenterweise in alter Orthografie - die Sentenzen vom Leib und von der Seele, in denen er Anstoß nimmt am Lauf der Welt. Buchstäblich am Lauf, denn er hätte es gern stillgestellter. Die Gedanken, die sich ihm dabei aufdrängen, sind, siehe oben, von bisweilen berückender Eleganz. Und von sublimer Trauer.
„Es herrscht keine Unordnung, aber auch keine Übersichtlichkeit. Meine Häuslichkeit ist mein Profil. Doch jedes Utensil lauert nur darauf, demnächst als Überbleibsel seinen Rang zu erhöhen. Man kann sich in diesen Dingen als dahingegangen spüren.“
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