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Bruno Gironcoli 1936 - 2010

Dass im Jahr 2003 jenes biennale Amt des staatlichen Kunstbeauftragten, das in Österreich, dem Land, in dem jede Abkürzung einen Umlaut enthält, so altväterlich Kommissär heisst, ausgerechnet Kasper König angetragen worden ist, war in Wien und Umgebung schon eine Kontroverse wert. Als der Multi-Kurator dann in Routine und Souveränität Bruno Gironcoli als den Repräsentanten der Kulturnation wählte, war die Debatte umgehend wieder vorbei. Vielleicht musste es ein Auswärtiger sein, um auf den 1936 geborenen, damals schon seit langem schwer kranken, als Hochschullehrer in höchster Reputation stehenden und dennoch weitgehend ein Randdasein führenden Künstler zu kommen. Jedenfalls wurde die Entscheidung dann auch vor Ort allenthalben akklamiert. Armin Zweite hatte Gironcoli in den Siebzigern ein internationales Entree im Münchner Lenbachhaus verschafft, Peter Weiermair ihn anschließend an seinem Frankfurter Kunstverein gezeigt, doch bis zur hallenfüllenden Solo-Präsentation des Wiener MAK im Jahr 1997, betitelt “Die Ungeborenen”, blühte Gironcolis Prominenz im Marginalen. Harald Szeemann hatte ihn in sein 1996er Kuriositätenkabinett “Austria im Rosennetz” aufgenommen, und als Skurrilität unter anderen Verwunderlichkeiten ließen sich Gironcolis ins Riesenhafte gesteigerte Tafelaufsätze durchaus missverstehen, als Junggesellenmaschinen, als Weltlandschaften, als Obsession und Bricolage, als all das, was man einem verschrobenen Alpenvolk gern als Ausleben seiner Ureigenheiten anzuerkennen meint. Gironcolis von den Siebzigern an entwickelte, seither immer exuberanter gewordene plastische Inszenierungen haben in der Tat jenes Überquellende und Seltsamkeiten Anhäufende, in dem sich der Ordnungsdruck ausagiert, der in kleinen Ländern zur Räson ruft. Man kennt das ja auch von der Schweiz. In der wichtigsten Sekundärliteratur zu dieser sehr eigenwilligen Position, Christian Reders Essay “Über Bruno Gironcoli”, erschienen eben im Katalog des MAK, wird der Künstler mit einer schlagenden Bemerkung zitiert. Er habe sich in eine ganz andere Richtung als die so viel präsenteren Aktionisten entwickelt, so Gironcoli, weil ihm die Bildhauerei ermöglicht habe, “schüchtern bleiben zu können”. Eine Zurückgezogenheit war Gironcolis Oeuvre tatsächlich eigen, und sie verlieh der Arbeit zusätzlich noch etwas ausgeprägt Idiosynkratisches. Im Begleitband zu Gironcolis Venedig-Auftritt sind umfangreiche “Überlegungen zu einer konventionellen Kunstform Bildhauerei” abgedruckt gewesen. 1984 erstmals veröffentlicht, waren sie durch ihre Publizierung 2003 als generell gültig ausgewiesen. Darin schreibt Gironcoli: “In diesem Umgang mit dem zum Werkstück Bildhauerei Gewordenen gelingt ein vorübergehendes, in quasi-Bildern bestehendes Einbezogensein, eine Art Aufarbeiten. Die im Werkstück eingebundenen Geschehnisse und Dinge bilden so einen benannten Weg, der zuvor fremde Bedeutung war. Eine Art Emanzipation, in deren Bereich kollektive Bewußtheiten und Träume sich anbiedern und/oder miteingeschlossen werden. Dieser ringende Dialog ist ein Vorgang, der Unsicherheit schafft, weil er rücksichtslos Möglichkeiten verschleißt und Bilder aufwirft, als ob GEWISSEN bestände.” Als ob Gewissen bestände: In diesem schier Hölderlin’schen Satz ist das Katastrophische mit dem das Bleibende Stiftenden in einer Art Zuversicht verbunden. Wer weiss, wofür eine solche Verbindung gut ist, in der Kunst und im Leben. Die artifizielle Welt des Bruno Gironcoli: Setzte man sich ihr aus, konnte der Eindruck entstehen, es bestünde in der Tat so etwas wie Gewissen. Zumindest ein ästhetisches. Als solches aber reicht es über seinen Tod am Freitag, den 19. Februar 2010, weit hinaus.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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