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art forum berlin: Rückkehr zur Sinnlichkeit

Einverstanden: Dass viele wichtige Galerien nicht (mehr) auf dem ART FORUM BERLIN anzutreffen sind, ist ein Manko, sehr schade. Das hat die Messe jedoch weitgehend sich selbst (per Zulassungsausschuss zum Beispiel) zuzuschreiben, aber nicht nur. Manche Entscheidungen sind mit „gaga“ noch harmlos zu benennen, manche Abwesenheit hat die Messe einfach nicht verhindern können. „Qismat“ sagt der Araber. Das Fehlen von Ropac, Ruzicska, Kicken, Schultz und einiger anderer mehr wiegt sicher schwer, aber dennoch, und das ist das Positive, das zu vermelden ist: 2010 ist das ART FORUM BERLIN wieder eine ansprechende Messe, die zu besuchen Spaß macht und die eine Reise wert ist. Vorbei der unsinnliche, unsinnige, unerträgliche Kuratorenkunst-Spuk vom vergangenen Jahr – es geht wieder um Kunst. Und deshalb hat man die „Focus“-Sektion in die Hauptmesse integriert. Die ergänzende „abc“-Show (art berlin contemporary) ist ins Marshallhaus hinten im Garten gezogen (erträglicher Fußweg, aber auch Shuttle-Dienst mit Golfwagen). Warum diese Ausstellung aber überhaupt existiert, ist schwer auszumachen: Das Meiste ist eine Zumutung, mit wenigen Ausnahmen wie Jeppe Hein (Galerie Johann König, Berlin) mit seinen weißen Banken im Park oder innen die eklektisch-manieristischen, aber unterhaltsamen Komposit-Videos (Loops) von BitteBitteJaJa (Galerie Olaf Stüber, Berlin). Über fast den ganzen Rest kann man gern den Mantel der christlichen Nächstenliebe decken. In den beidem Ausstellungshallen herrschte bei der Eröffnung ziemlicher Trubel. Georg Kargl (Wien), heuer eher cool mit Folienbildern von Gerwald Rockenschaub und „Gerahmten Rahmungen“ (Foto plus Acrylglas) von Thomas Locher, war dann auch zufrieden und sagte dem artmagazine: „Die Stimmung ist gut, es hat sich ja auch etwas geändert. Die Einbeziehung der „Focus“-Sektion in die Hallen und der abc im Marshallhaus ist vorteilhaft, die Messe wächst zusammen.“ Und, finden die „Focus“-Aussteller (das sind so die „cutting edge“-Galerien, jung, enthusiastisch und mit großem Geldmangel) das auch gut? Doch. Jette Rudolph (Berlin) etwa meint: „Wir sind glücklich, dass wir in den großen Hallen sind. Hier können wir einem guten Publikum unsere Künstler besser präsentieren. Jette Rudolph zeigt Constantin Luser und Johannes Vogl. Luser zeichnet, auch über den Bildträger hinaus auf die Wand, Vogl hat u. a. eine Bahre für Bierleichen (mit entsprechenden Halterungen für 0,5-Liter-Flaschen) hingestellt. Zusammengestellt hat auch der Schweizer John Armleder eine Geschichte des Ready Made (bei Anselm Dreher, Berlin). Das variable Werk ist als Konzept käuflich für 100.000 Euro. Etwas mehr dürfte der Neo Rauch kosten, der in düsterer Dunkelbuntheit (scusi, Signore Hundertwasser) den Stand von Judy Lybke (Eigen+Art, Berlin und Leipzig) ziert. Matthias Weischer ist dabei und auch ein sehr heller, eindrucksvoller David Schnell. Ist ein Remix von Baselitz („Drei Beine“, 250x200, 2006) bei Bo Bjerggaard (Kopenhagen) nicht ganz eine Überraschung, macht man auf der Messe aber doch sehr viele Entdeckungen. Bei Michael Haas sieht man Stefan Manuels Umdeutungen urbaner Landschaften, aus denen Bilder mit einem Hauch von Fantastik werden, bei Kuckei+Kuckei (Berlin) steht der Nachbau in Schichtholz eines Planetariums-Projektors (62.000 Euro), das will einem wie ein mehrschichtiges Symbol gescheiterter Hoffnungen vorkommen (scusi, Signore Friedrich), aber ein Top-Hammer sind die großen Assemblage-Vitrinen von Max Frisinger bei CAF (Contemporary Fine Arts) Berlin. Der junge Künstler geht frisch und frei ans Werk, aus Sammel, Surium und Schrott zaubert er eingeschlossene Welten, die fordern, entdeckt zu werden. Die Einzelteile sind bearbeitet und bewusst gesetzt, und so erschließt sich nach und nach eine plastische Logik. Nach Art der Ästhetik der Märchenwälder, die man früher gern mit dem Nachwuchs am Sonntag zwischen Mittagessen und Kaffeetafel besuchte, hat Kati Heck bei Stella Lohaus aus Antwerpen eine überlebensgroße (215x273x210 cm), farbig gefasste Skulptur aufgestellt. „Unrasiert und fern der Heimat“ zeigt einen Cro-Magnon, seine Keule lehnt am Tisch, vor einem Mega-Döner und einer Mega-Mega-Gurke. Dieses surreale Moment hebt das Werk aus der Banalität heraus. Größe ist auch eine ästhetische Kategorie, aber auch die kleinen Dinge haben ihren Reiz. So bewegen sich die malerischen, fein erotischen Kabinettstückchen von Ridley Howard zwischen 5x7 und 6x8 Zoll (ein Zoll/inch gleich 2,54 cm). Sie kosten, bei Leo König aus New York, 3000 feine Dollar. Schnäppchen! Das nächste Art Forum Berlin ist für die Zeit vom 29.9. bis 2.10.2011 angekündigt. Auf diesem Termin hat man die zweite „Munich Contempo“ erwarten können. Die aber wird den Termin verlegen, weil man nicht mehr zur Wiesn stattfinden will. Sollte das Absicht gewesen sein, ist’s halt schön im Rohr krepiert. Na, aber vormerken sollte man sich den Termin auf jeden Fall.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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art forum berlin
07 - 10.10.2010

Art Forum Berlin
10001 Berlin, Messegelände Berlin, Hallen 18-22, Eingang Masurenallee
Email: info@art-forum-berlin.de
http://www.art-forum-berlin.de
Öffnungszeiten: 12 - 20 h


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