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Ein geglücktes Leben

Rechtzeitig zum 65. Geburtstag von Christan Boltanski, kam bei Walter König, die deutsche Übersetzung eines Interviewbuches zu Leben und Werk des französischen Künstlers heraus. Darin führen Catherine Grenier, Kustodin des Centre Pompidou und der Künstler eine Art monologisierenden Dialog, dem die eingestreuten Fragen von Grenier lediglich die Richtung weisen. Im Grunde hält sich dieses Frage-Antwort-Spiel an eine biografische Chronologie und beleuchtet dabei wie Filmsequenzen einzelne Abschnitte des Künstlerlebens. Der Titel –„Das mögliche Leben des Christian Boltanski“ – bezieht sich auf dem von ihm gedrehten Film „Das unmögliche Leben des Christian Boltanski“ von 1968. Dass dies hier erzählte Leben nur e i n mögliches Leben von den vielen Facetten seines Dasein ist, wird im Titel und Text augenzwinkernd impliziert. Lauscht man Boltanskis Erzählung seiner Kindheit, Jugend und frühen Arbeitsjahre, so täuscht die Leichtigkeit des Titels über die Ernsthaftigkeit des Buches hinweg. 1944 in einem jüdisch-christlichen Elternhaus geboren, Mutter Schriftstellerin und durch Kinderlähmung gehbehindert, Vater ukrainischer, jüdisch stämmiger Arzt, lebensfremd und tiefreligiös in seinem christlichen Glauben, wuchs Boltanski mit zwei Brüdern und einer späteren Schwester in Paris auf. Sein Vater, der hellsichtig die zunehmende Ausgrenzung und Vernichtung der Juden erkannte, ließ sich vorsätzlich von seiner Frau scheiden und versteckte sich 1943 unter den Dielen des Pariser Hauses, in einem Hohlraum zwischen zwei Stockwerken. Dies sowie die Erfahrung, dass die französische Staatsbürgerschaft die Boltanskis nicht vor Übergriffen ihrer Landsleute schützte, trieb die Mutter nach dem Krieg in die Arme der KP. Die französischen Freunde hatten sich abgewandt – so verlor der Vater etwa nach dem Krieg auf Betreiben seiner Kollegen seinen Posten im Krankenhaus Laennec, – und man blieb unter sich. Die frühen Jahre Christians waren also vornehmlich von der Gesellschaft jüdischer Überlebender und Kommunisten geprägt. Im Interview meint er, er sei ein Kind der Shoa und er habe sich davon immer noch nicht erholt. Diese existenzielle Erfahrung und die menschliche Fragilität sind Antriebsfeder für Boltanskis Arbeit. Bekannt wurde Boltanski in den 90er Jahren vor allem mit seinen „Monuments“, in denen er riesige Installationen aus sw- Fotografien von Gesichtern wie Ikonenbilderwände nebeneinander arrangierte und oft mit Licht hinterlegte. Bei diesen Fotografien handelt es sich um objet trouvés, auf Flohmärkten gefundene Fotoalben, oder Schulklassenfotos wie die der Klasse des Chajesgynasiums 1931 in Wien. Dabei hat er einzelne Köpfe heraus fotografiert und sie bis zur Unkenntlichkeit vergrößert. Die dadurch unscharfen Gesichter erweckten den Eindruck von Totenmasken(1), eine naheliegende Assoziation, wenn man sich die Frage stellt, was mit den jüdischen Jugendlichen wohl passiert sein mag. Boltanskis Arbeit kreist in ihrer Gesamtheit immer wieder um das Verschwindens und der Spur die Menschen hinterlassen, ihre Abwesenheit durch Anwesenheit. Ob er nun Glasbehältnisse schafft (Inventaires)(2) in denen Brillen oder Briefe eines Menschen zu sehen sind, oder ob er einen Ausstellungsraum mit abgetragenen Kleidern füllt und die Menschen dazu einlädt sich nach bestimmten Regeln dieser Kleider zu bedienen, immer geht es um das Erfassen des Vergänglichen. Auch seine Auseinandersetzung mit dem Thema Kindheit trägt diese Züge und er meint dazu: „Ich habe soviele Kindheitserinnerungen erfunden, dass ich keine mehr habe.“(3) Das Buch von Grenier und Boltanski zeigt sehr schön den langsamen Werdegang eines Künstlers: Von seinen Anfängen als Maler, seiner Galerientätigeit, seine Vertretung durch die Galerie Sonnabend ab 1972 und die Einladung zur Documenta 1972 von Harald Szeeman. Lapidar erzählt Boltanski auch von seinem künstlerischen Durchbruch, dessen finanzieller Erfolg sich erst Anfang der 80er Jahre abzeichnet, im Alter von 43 Jahren. Und er erzählt von diesem neuen und etwas befremdlichen Gefühl plötzlich Geld zu haben. Betrachtet man die 90er Jahren sieht man, dass Boltanski sich mittlerweile ein künstlerisches Vokabular erarbeitet hat, das er je nach Ausstellungsraum neu zusammensetzt und erfindet – er variiert seine Themen immer erst vor Ort, stark bezogen auf den Ausstellungsraum. Sympathisch ist, dass er keinem homogenen Gesamtkunstwerk anhängt sondern davon überzeugt ist, dass künstlerische Materie hinfällig ist und jederzeit nachgebaut werden kann. Was zählt ist die Idee. Bedauerlich ist, dass in diesem Buch, das 2007 in französischer Sprache erstmals erschien, das jüngste Projekt der Herzschläge nicht erwähnt wird. Boltanski nahm vor einigen Jahren den Ton seines Herzschlages auf. Für die Ausstellung Maison Rouge 2008 in Paris koppelte er die Tonspur an eine Glühbirne unter dem Titel „Les Archives du coeur“. Jetzt plant er mit Hilfe einer Stiftung, viele gesammelte Herzschläge im Stollen einer fernen japanischen Insel zu präsentieren: Ein Archiv der Herzen, das sein Leben überdauern wird.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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