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Angewandte Kunst

„Das Flötenkonzert Friedrichs des Zweiten in Sansoucci“ hat Adolph Menzel im Jahr 1852 gemalt. Das Bild, berühmt wie es ist, zeigt den König, wie er nicht König ist und auf seinem Steckenpferd reitet. In späteren Jahren wurde Menzel gewahr, dass er vielleicht etwas über das Ziel der Vergegenwärtigung seiner historischen Gestalt hinausgeschossen war: „Der König steht da wie ein Kommiß, der Sonntags Muttern etwas vorflötet“, erinnert er sich. Es ist ein Geschichtsbild, doch eines aus dem Historismus, und da ging es, in den einschlägigen Worten Leopold von Rankes, darum zu zeigen, „wie es eigentlich gewesen“ ist. Es forciert den Eindruck der Intimität, und der ist visuell so triftig, wie er konzeptuell unpassend erscheint. Menzel legt ein Verfahren an den Tag, als würde er in die Vergangenheit fotografieren. „Überhaupt“, so gibt er zu Protokoll, „habe ich's bloß gemalt des Kronleuchters wegen. In der Tafelrunde brennt er nicht - hier brennt er“. Das Accessoire also lieferte den Anlass, ein neuer, ein unerhörter Vorgang: Geschichte verflüchtigt sich in die optische Sensation eines ihrer Zubehöre, des Kronleuchters, dem Menzel dafür umso expliziter huldigt. In diesem Lüster kristallisiert sich Geschichte als Exponat. (Abbildung: Adolph von Menzel, Flötenkonzert, 1852, Berlin - Alte Nationalgalerie) In seinem schönen Beitrag für die „causeries du lundi“ erinnert Vitus Weh an den Prozess, wie das Museum für Angewandte Kunst zu seinem Namen kam. Hier also eine kleine Ergänzung, wie es zu seiner Bedeutung kam. Es waren Orte, die heute in Wien MAK oder in Berlin Gropius-Bau heißen, wo Künstler verkehrten, um sich über die Vergangenheit zu orientieren. Das wichtigste ästhetische Postulat im 19. Jahrhundert war die Anachronismus-Vermeidung, und es galt peinlichste Genauigkeit bei der Wiedergabe der Accessoires. Seit der Historiker Seroux d’Agincourt dem Paradeklassizisten Jacques-Louis David vorwerfen konnte, er habe bei seinem Schlüsselbild vom „Schwur der Horatier“ eine Arkadenarchitektur eingesetzt, die es in der Zeit, da die Handlung spielt, nicht gegeben hätte, war die Wahl des Ambientes Ausweis künstlerischer Kompetenz. Da durfte man keinen Fehler machen, und so galt es die Geschichte zu studieren, wo sie erhalten war, im Museum. Das Museum für Angewandte Kunst ersetzt so peu à peu das Kunstmuseum als Archiv der Vorbilder. Im Kunstmuseum war der Kanon zu begutachten, die Enzyklopädie an Verbindlichem, das zunächst von der Antike und später von diversen Epochen verwaltet wurde. Im Angewandten Museum wird der Kanon von der Geschichte vertreten, alles ist gültig und alles ist brauchbar, setzt man es nur richtig ein. Richtig, das heißt getreu der Situation. Das 20. Jahrhundert mit seinen Avantgarden, das so tut, als würde es auf das Museum pfeifen, um es nötiger als jemals zuvor zu haben, diese Moderne wird für das Wort „richtig“ dann ein anderes verwenden: authentisch. Im Museum für Angewandte Kunst gab es dafür den Vorgeschmack.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
„Kunst! wende mich an“-Museum
Vitus Weh | 21.10.2009 02:31 | antworten
Die Geschichte, die Rainer Metzger hier erschreckend amüsant wiedergibt, ist zugleich symptomatisch. Sie ist nämlich so ausschließlich aus der Perspektive der Kunst geschrieben indem sie berichtet, wie die Bildenden Künstler des Historismus die Museen für angewandte Kunst damals gebrauchten, dass ein Detail zuerst gar nicht auffällt. Man könnte meinen: „Wenigsten die Künstler nutzen also diese Häuser“. Wenn es nicht so pervers wäre. Denn nach der Intention all dieser „Museen für Kunst und Gewerbe“ ging es ja nicht um die Unterstützung, sondern genau um die ÜBERWINDUNG des Historismus.

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