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Ehrgeizige Eltern

Die Gesprächsthemen, die der Kulturbetrieb in den letzten Tagen in die internationale Diskussion zu werfen hatte, ranken sich um ganz junge Mädchen und ältere Herren. Zum einen ist da Roman Polanski, der sich vor 32 Jahren auf eine Weise an einer Dreizehnjährigen verging, die die amerikanische Rechtssprechung noch wie vor für jusitziabel hält. Zum anderen ist da Richard Prince, der einst im Rahmen seiner Appropriation Art eine Fotografie zweitverwertete, die die zehnjährige Brooke Shields im – wie sagt man – Adamskostüm vorführte; diese Arbeit wurde nun aus der Ausstellung der Tate Modern entfernt. (Links: Gary Gross: Brooke Shields: The woman in the child, 61 x 50.8 cm © Gary Gross Rechts: Richard Prince: "Spiritual America 4", 2005, Foto: Richard Prince / Courtesy of Gladstone Gallery, New York) Die Sex-and-Crime-Problematik ist das eine. Die puritanische Tradition, die die Angelsachsen immer noch in Aufruhr hält, ist das zweite. Der Eifer, mit dem zum einen die Briten vorauseilend und in purem Verwaltungsakt einschritten und zum anderen die Schweiz sich den USA gegenüber auf eine Weise, die man nur als Schleimscheißerei bezeichnen kann, beflissen zeigte, ist das dritte. Das vierte schließlich ist, dass die Mädchen in ihren Kinderjahren auf eine Medienwirtschaft losgelassen wurden, bei der von vornherein feststand, dass ihr Körper die schöne Unschuld, die er gewinnbringend einzusetzen hatte, verlieren würde. Entsprechend mussten beide als Erwachsene diese Vergangenheit exorzieren: Die eine, indem sie ihrem Prominenten, der es als sein Privileg erachtetet, über sie zu kommen, „vergeben“ musste; die andere, indem sie als knapp 40jährige die Pose des Fotos nachstellte, im Bikini diesmal, als wäre es damals schon um Bademoden gegangen. Das nämlich ist das Tertium Comparationis: Beide hatten ehrgeizige Mütter, die für ihre Töchter jenes Beste wünschten, von dem sie überzeugt waren, ihnen selbst wäre es versagt geblieben. Ehrgeizige Mütter. Oder sagen wir besser: ehrgeizige Eltern, weil es diesmal nicht, obwohl sie selbstverständlich im Spiel ist, um die Genderfrage geht. Es geht um die Glücksverheißung, die man auf die Kinder bezieht; und um den Narzissmus einer Elternschaft, die nicht mehr biologisch einfach passiert, sondern Ergebnis skrupulösen Rechnens und peinlicher Lebensplanung ist. Hat man sich für ein Kind entschieden, muss das, was herauskommt, die Welt mindestens dazu bewegen, sich anders herum zu drehen. Es ist haarsträubend, wieviele Eltern die Klassenlehrer mit ihrer Überzeugung behelligen, ihr Kind wäre hochbegabt. Und stellt sich das als Fehleinschätzung heraus, dann hat es im Gegenzug ADS. Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Vor drei Jahren bin ich mit meiner Familie aus Wien weggezogen. Das einschneidende Erlebnis mit der Volksschulklasse im siebten Bezirk, die meine Tochter besuchte, war das Autoritätsproblem der Lehrer. Die Schule war, mit einem Wort, verwahrlost, was aber nicht an den Türken, den Ausländern und was der Herr Strache sonst noch ein Anschlag bringt, lag, sondern an der vermeintlichen Führungsschicht des Volkes. Gebildet, akademisch und als Eltern steinalt war diese Schicht, die Entscheidung fürs Kind fiel im fortgeschrittenen Lebensabschnitt, und so musste jeder davon ausgehen, im rotzlöffeligen Siebenjährigen wenigstens einen Messias vor sich zu sehen. Bestanden Zweifel, rückten die Eltern an, stauchten rhetorisch bewandert, wie sie waren, die Lehrer zusammen, schwadronierten von der Traumatisierung, die den Prinzen überkäme, wenn ihm in Mathe kein Smiley zuerkannt würde, und das Haus hatte unverzüglich zu kuschen. Vor drei Jahren sind wir weggezogen. Das ließ es so aussehen, als wäre die Entscheidung, unsere Tochter von dieser Schule zu nehmen, den äußeren Umständen geschuldet. Wir hätten es aber ohnedies getan.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Schachzug
Maria Bergstötter | 05.10.2009 03:12 | antworten
Die Verhaftung Roman Polanskis zu diesem Zeitpunkt halte ich für einen genial perfiden Schachzug der republikanischen Opposition, die ja in den amerikanischen Höchstgerichten gut vertreten ist. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass es in den vergangenen 13 Jahren nicht möglich gewesen sein sollte, Polanskis habhaft zu werden. Obama führt eine Bilderbuchehe, sodass es nicht möglich ist, bei ihm eine Affaire aufzudecken wie bei Bill Clinton, doch die Roman Polanski-Affaire wird vielleicht ebenso gut ihren Zweck erfüllen, Barack Obama zu desavouieren und zwar sowohl bei den Progressiven wie auch bei den Konservativen. Denn das Gnadengesuch, das Polanskis Rechtsanwälte stellen werden, wird Obama in die Zwickmühle bringen. Begnadigt er Polanski, kann er als ein Staatsoberhaupt hingestellt werden, das die Kinder nicht schützt und die Unmoral fördert, tut er es nicht, stößt er auf Unverständnis bei seiner großen Anhängerschaft in der Kunst- und Kulturszene und überdies in Europa, besonders in Frankreich, das bereits offiziell gegen Polanskis Verhaftung protestiert hat. Obama wird also in dieser Sache leider nur verlieren können. Die Zwickmühle, die die Republikaner mit ihrer Verhaftung Polanskis aufgemacht haben, betrifft eigentlich alle Demokraten, die in dieser Frage wahrscheinlich auch gespalten sein werden. Dass Polanski von seinen Freunden und Bewunderern verteidigt wird, liegt in der Natur der Sache. Doch muss die Kunstszene aus diesem Anlass heraus mal wieder den Status Quo unterstützen, dass ein Mann, der entsprechende Leistungen auf seinem Fachgebiet aufzuweisen hat, sich auch sonst mehr leisten kann und darf? Wo ist dann der Unterschied zu den Managern, die sich im Bordell von Minderjährigen bedienen lassen? Dieser Blickwinkel betrachtet minderjährige Mädchen als Objekte, die kein Recht mehr haben, sobald sie den Schutz durch verantwortungslose Eltern verloren haben. Vielleicht wurde das Mädchen dem Regisseur damals tatsächlich gewissermaßen von seinen Eltern ausgeliefert oder zumindest in eine Situation gebracht, die gefährlich war. Gefährlich, weil "man weiß, wie Männer im allgemeinen und Künstler im besonderen eben sind", was wohlgemerkt ein konservativer Standpunkt ist. So gesehen dürften wohl gar keine Kinder mehr in Filmen mitspielen und den Regisseuren (Fotografen etc.) würde ein Freibrief ausgestellt werden. Dazu passt, dass der polnische Regisseur Krzystof Zannussi das damalige Opfer Polanskis als minderjährige Prostituierte bezeichnete und ihr unterstellte, für ihre Karriere mit P. ins Bett gestiegen zu sein. Auch das Argument, es sei Verführung, keine Vergewaltigung und daher nicht so schlimm gewesen, würde alle Sportlehrer, Priester, Ärzte, Erzieher etc. entschuldigen, die ihr Autoritätsverhältnis und ihre Beliebtheit ausnützen und dazu alle Verwandten, die ihr Naheverhältnis ausnützen, entschuldigen. Der mittlerweile erwachsenen Frau nützt eine eventuelle Bestrafung Polanskis nichts. Ich würde sie schon daher nicht wünschen, aber einen Umdenkprozess in den Reihen derer, die ein Verhalten wie das damalige von Polanski für ein Kavaliersdelikt oder für in Ordnung oder für eine Lappalie halten. Ich würde Polanski weder ins Gefängnis bringen wollen noch eine Petition für seine Freilassung oder Begnadigung unterschreiben. Dieses Problem wird, wie ich vermute, auch Obama haben. Die skrupellose Politik der Republikaner, die nur auf Machterhalt abzielt, ohne das Wohl der amerikanischen Bevölkerung zum Ziel zu haben wird vermutlich Erfolg haben mit dem Vorhaben, Obamas Charisma weiter anzukratzen und den Rückhalt, den er in der amerikanischen Öffentlichkeit hat, weiter zu schwächen, wie dies bereits mit dreisten Verleumdungen in der Gesundheitsdebatte gelungen ist. Das ist einigermaßen tragisch angesichts der Aufgaben, die Obama zu erfüllen hat, die er mit Idealismus erfüllen will. Maria Bergstötter

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