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Tuchintarsien in Europa von 1500 bis heute: Tuch ist ein besonderer Stoff

Diese Objekte haben etwas verwirrend Faszinierendes. Da kämpfen widersprüchliche Wahrnehmungen und Gedanken um die Erfassung des textilen Phänomens: Raffiniertes Handwerk! (wie geht das eigentlich?!); akribisch bis zur letzten Faser zum Gesamtwerk verschmolzen; Zeit - wie lange näht jemand/mehrere an so einem Stück? - Opulente Ornamente, Op-Art damals?! (Mitte 19.Jh.); Flower-Power anno dazumal; Tauben, Hirsche, Rehe, Wappenadler wie Löwen; Menschen in allen Lebenslagen. – Brav geordnet, naiv stilisiert, klassisch anmutend, treulich bemüht, dann wieder frappierend „modern“, gekonnt komponiert, optisch einnehmend. In den ältesten Werken dominieren christlich-religiöse Themen, im übrigen sind militärische Themen öfter vertreten – von Türkenzelt über Reitersmann bzw. ganzes Regiment bis zu Hundertschaften von Schulterklappen ausgedienter Uniformen. - Hier ist nicht das Reich der feinen Schattierungen, hier setzt man auf Kontraste. Das verlangt nicht zuletzt die Technik: Plakativ wird Feld für Feld, Detail für Detail, Flickchen für Flickchen positioniert, oft in Spiegeltechnik, sonst wie eine Einlegearbeit, eben intarsiert. Obwohl die ältesten erhaltenen Stücke über 500 Jahre alt sind, handelt es sich quasi um Neuentdeckungen. Das ist allerdings wenig verwunderlich, denn sie treten vereinzelt auf, sodass sie als Gattung kaum erfassbar waren. Sie scheinen in den unterschiedlichsten Kontexten auf, stammen aus Klöstern, herrschaftlichem oder bürgerlichem Umfeld, aber auch aus regional üblicher Volkskultur. Selbst die Namensgebung ist recht disparat: In den deutschsprachigen Herkunftsländern ursprünglich als Fleckeldecke, Flickelteppich oder Lappenarbeit, später auch Tuchmosaik genannt, im Englischen als Inlaid-Patchwork, auch „Clothograph“ bzw. im Schwedischen als Intarsienstickerei bezeichnet, einigte man sich im wissenschaftlichen Kontext zuletzt auf den Begriff der Tuchintarsie. Intarsie bezeichnet sowohl die faktische Arbeit unterstreicht aber auch das Kostbare, werden doch damit exotische Hölzer, Perlmutt, edle Steine assoziiert, auch Mosaik kann hier mithalten, aber Tuch? In der Art wie es in den Tuchintarsien eingesetzt wird, hat Tuch tatsächlich etwas Zwiespältiges. Dieser Stoff nimmt eine Sonderstelung ein: Wolltuche sind Gewebe, die durch eine spezielle aufwändige Verfilzungstechnik schnittfest sind, d.h. nicht ausfransen und daher ohne Nahtzugabe, Stoß an Stoß, verarbeitet werden können. Wolltuche waren äußerst widerstandsfähig – und sie waren sehr teuer! Erstere Eigenschaft machte sie prädestiniert für Uniformen, die in früheren Zeiten bekanntlich eine hohe Farbfreudigkeit aufwiesen – einzelne Exponate belegen dies auch in der Ausstellung. Letztgenannte Eigenschaft ließ es ratsam erscheinen, mit Tuch sorgfältig, ja sparsam umzugehen. Eine direkte Folge davon ist, dass Tuchkleidung (fast unsichtbar) geflickt werden konnte und auch wurde. Und erst nachdem so ein Stück endgültig ausgetragen war, wurde es - in bestem Recyclingverfahren – zu besagten Tuchintarsien verarbeitet. Vielleicht macht sogar diese Achtung in der Verarbeitung einen Teil der Aura aus, die diese Stücke verbreiten. Je näher man ins Gebilde hineinzoomt, zeigt sich bisweilen die wahre Restl- und Flickenwelt, denn sogar die einfarbigen Flächen wurden gestückelt und mit tausenden Stichen rückseitig zusammengenäht. - Welchen Wert misst man heutzutage solchen „Flickenteppichen“ zu? Vor zwei Jahren wurde bei Sotheby’s ein entsprechendes Lot für 30.000 Pfund ersteigert bei einer Größe von ca. 1,5 m im Quadrat. Erst in den 1980er Jahren führte die geplante Restaurierung eines Stückes aus dem Bestand der Sammlung für deutsche Volkskunde (Berlin) zur eingehenden Beschäftigung mit dem eigenwilligen textilen Bereich. Im Vorfeld suchte man nach vergleichbaren Objekten. Es sollte sich herausstellen, dass verschiedene Museen und Sammlungen durchaus im Inventar ähnliche Textilien führten, aber meist als singuläre (und unbeachtete) Erscheinungen. 70 der gefundenen Exemplare wurden in einem Katalog erfasst und ausführlich beschrieben. Nun kann in einer Erstpräsentation eine Auswahl von 30 Originalexponaten im Österreichischen Museum für Volkskunde gesehen, nein, erlebt werden.
Mehr Texte von Aurelia Jurtschitsch

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Tuchintarsien in Europa von 1500 bis heute
02.10.2009 - 14.03.2010

Volkskundemuseum Wien
1080 Wien, Laudongasse 15-19
Tel: +43 1 406 89 05, Fax: +43 1 408 53 42
Email: office@volkskundemuseum.at
http://www.volkskundemuseum.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 h


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