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Né dans la rue – Graffiti: Von Brotherhood, Rebellion, Kriminalisierung und dem Einzug ins Museum

„male black, portorican, other 13-16 years carries package or paperbag, long coat in cold weather time of day: 4 pm to 2 am, after school hours“ – so lautet eine interne Beschreibung der New Yorker Polizei aus den 1970er Jahren, die in der aktuellen Ausstellung „Né dans la rue – Graffiti“ in der Pariser Fondation Cartier gezeigt wird. Offenbar dokumentieren diese knappen Zeilen einen dramatischen Anstieg an Verhaftungen von männlichen Graffiti Sprayern im Jahr 1972: von 707 auf das doppelte in den darauf folgenden Jahren. Ausser zwei erwähnten Sprayerinnen, Lady Pink und ihre Schwester Lali, trifft die Beschreibung durchaus zu: die historisch aufgearbeitete Ausstellung überliefert das amerikanischen Lebensgefühl der jugendlichen Akteure Ende der 1970er bis Anfang der 80er Jahre. Authentizität und Zugang zur Szene wurde vom Sprayer Alan Ket geliefert, der sich nach einer Unzahl von Anzeigen und der Androhung einer zehnjährigen Gefängnisstrafe an die Öffentlichkeit wandte. Das selbstermächtigte Agieren im öffentlichen Raum, damit verbunden das Gewinnen an einem Vielfachen von Publikum, dass nicht unbedingt Museen frequentiert, fordert nach wie vor eine Kriminalisierung und die Zuschreibung von Vandalismus hervor. In den Kurzvideos, die eigens für die Ausstellung gedreht wurden, wird deutlich, was der Kick war: „becoming famous in overwriting the others“ (O-Ton von MICO, legendär geworden durch sein „Hang Nixon“) und „to get up and do the best that you can“. In der Ausstellung wird nun versucht, durch eine kuriose Mischung aus „Gustostücken“ - wie die originale Arbeitskleidung (eine Tarnung in Form einer U-bahnarbeiteruniform) von Richard Miranda aka Seen oder die mit über 190 Tags versehene Badezimmertür des Graffiti¬-Dokumentaristen der ersten Stunde, Jack Stewart - und Erläuterungen einzelner Schriften, die ehemalige Undergroundkultur historisch aufzuarbeiten. So werden die nun „erwachsenen“ Akteure offiziell als Künstler dargestellt, Vertrautes aus dem öffentlichen Raum wird in den Kunstkontext eingeführt. Die Frage nach Institutionalisierung und Ausverkauf stellte sich angeblich nicht, die eingeladenen Artists wären froh, gesehen und gehört zu werden war von den Ausstellungsmachern zu hören und könnten nach dem Ende der Ausstellung auch frei über die produzierten Arbeiten verfügen. Durch die Öffnung der Aussenwände für Beschriftungen aller Art bemüht man sich, eine Prise von Nichtvorhersehbarem und des ursprünglichen Esprits zu inkludieren. Bansky fehlt, dafür aber nicht die Filme „Downtown 81“ und „Wild Style“, mit all den assoziierten Musikgruppen der damaligen Zeit. Von den harten Anfangszeiten, in denen sicher keiner der im Durchschnitt 15jährigen Akteure je an die Teilnahme an Ausstellungen dachte, handelt ein beschriebenes A4-Blatt von 1985 „ Names of those „enclosesd“ died before 23“: akribisch zählt Blade auf, wie und wann diese Kumpels durch das Ausüben ihrer „Areosol Art“ den Tod fanden. „Hazard factor“ wird das auf der internen Polizeibschreibung genannt: „Several youths injured by third rail or moving train resulting in their deaths“.
Mehr Texte von Fiona Rukschcio

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Né dans la rue – Graffiti
07.07 - 29.11.2009

Fondation Cartier pour lart contemporain
75014 Paris, 261, boulevard Raspail
http://www.fondation.cartier.fr/
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 12.00 bis 20.00 Uhr


Ihre Meinung

5 Postings in diesem Forum
ausstellung
Karl Wurz | 10.09.2009 12:51 | antworten
Sehr interessante Kritik. Man bekommt Lust, die Ausstellung anzusehen!
Grafitti
Pokski Waltski | 10.09.2009 04:15 | antworten
Wenn ich in Paris wäre, würde ich auf jeden Fall die Ausstellung besuchen. Danke für den interessanten Beitrag. Salut
Exhibition
Artisto | 10.09.2009 04:40 | antworten
Sounds Interesting. The Beginníng Of Modern Graffiti Art. Long Live Keith Haring & Jean-Michel Basquiat!
Wann?
Liz Burg | 14.09.2009 09:42 | antworten
Ur arg, möcht ich sehn! Wann kommt die Ausstellung denn nach Wien?
Cut-outs, Schablonenmalerei, Murals, Editionen
BOXI | 21.09.2009 05:19 | antworten
MUST SEE !! www.projektraum.at

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