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Held Together With Water: Enormer Andrang auf feministische Kunst in Istanbul

Vorwiegend finanziert von Sponsoren, wie der Industriellenfamilie Eczacibasi gilt das Istanbul Modern - obwohl als Privatmuseum gegründet - als das inoffizielle Museum für moderne Kunst der Türkei. In einem ehemaligen Handelswarenlager am Bosporus-Ufer gelegen, gewinnen wir durch den tollen Ausblick, das Gefühl in einem Kunstschiff zu treiben. Als beliebter Treffpunkt der Istanbuler Kunst- und Literaturszene wird seit 2004 vor Ort ein abwechslungsreiches Ausstellungs-, Sammlungs- und Vermittlungsprogramm organisiert, das neben einer Präsentation der türkischen Moderne vor allem aktuelle Kunstströmungen mit dem internationalen Kunstbetrieb vernetzen will. Angesichts des Faktums, dass Istanbul 2010 Kulturhauptstadt Europas sein wird, stehen derzeit die Chancen dafür besonders gut. Wie sehr Kunst, Wirtschaft und Politik hier miteinander verlinkt sind, äußert sich ebenfalls im Joint Venture „Enerjisa“ zwischen dem Verbund Elektrizitätsunternehmen und der Finanz- und Industrieholdung der Familie Sabanci, die ebenfalls als Kunstmäzen eifrig aktiv ist. Die 2007 erstmals im Wiener Museum für Angewandte Kunst mit den Schwerpunkten Performanz sowie Räume und Orte erfolgreich präsentierte Sammlung Verbund ist nun in Istanbul durch weitere Ankäufe ergänzt mit einer Auswahl von 116 Fotografien, Installationen und Videos präsent. Als Kooperation zwischen der Sammlung Verbund unter deren Leiterin Gabriele Schor und dem Chefkurator des Museums Levent Calikoglu bildet das Istanbul Modern die erste Station einer internationalen Sammlungstour. Neben Werken von KünstlerInnen wie Cindy Sherman, Louise Lawler, Johanna Billing, Gordon Matta-Clark, Jeff Wall, Fred Sandback oder Francis Alys konzentriert sich das Display vor allem auf einen Querschnitt der feministischen Avantgarde seit den 1970er Jahren und deren durch Gegenüberstellungen forcierten aufschlussreichen Wechselbeziehungen. In die Ausstellung gelangen wir über die Installation „Stairway to Hell“ (2003) von Monica Bonvicini, die permanent als Stiegenabgang montiert ist. Der Publikumsandrang ist enorm, es sind vor allem Frauen, manche von ihnen mit Kopftüchern, andere ohne, die am späten Nachmittag in die Ausstellung „Held Together with Water“ - auf türkisch „suyun bir arada tuttugu“ strömen. Das Display startet mit Lawrence Weiners als Signation wirkende Installation „Held Together with Water (1993), Ed Ruschas Werk „Black Yes“ (1983) und Jeff Walls Lightbox „Boys Cutting Through a Hedge“ (2003). Es ist ein performatives, aber auch konzeptuelles Bewusstsein für das Medium Fotografie und Video, das hervorsticht und ästhetisch wie argumentativ plausibel Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Suzy Lake, Nan Goldin, Kate Gilmore, Gillian Wearing, Sarah Lucas oder Ursula Mayer in Relation zueinander setzt. In Suzy Lakes Fotoserie „Miss Chatelaine“ (1973/1998) wird durch unterschiedliche Looks und Maskeraden, die wie verfestigte Gipsabgüsse wirken, die Frage nach Selbstbestimmung und Identität aus einer feministischen Perspektive aufgeworfen. Parallelen zu Cindy Shermans Fotografien „Lucille Ball“ (1975/2001) oder „Untitled (Murder Mystery People)“ (1976/2000) existieren, die KünstlerInnen kennen einander durch Vorträge am Buffalo State College. Spannung entsteht durch Werke von Birgit Jürgenssen, Francesca Woodman oder Eleanor Antin, indem die technische Reproduzierbarkeit der Fotografie und slapstickartige Selbstinszenierungen aufeinander bezogen werden. In der Videoinstallation „The Headless Woman or the Belly Dance“ (1974) der türkischen Künstlerin Nil Yalter werden Blickregime, die mit dem Bauchtanz im Zusammenhang stehen, umgelenkt: Nil Yalter beschreibt ihren Bauch rund um den Nabel mit feministischen Statements, verwendet ihre eigene nackte Haut als Material für den schriftlichen Protest und wehrt sich so gegen das Stereotyp der orientalischen Bauchtänzerin. In dem Video „The Meeting Or Bonjour Monsieur Courbet“ (2004) von Sener Özmen und Cengiz Tekin wird die Suche nach Identität zur Persiflage auf die Anfänge der modernen Kunst. Im anatolischen Hochland wird zwischen Männern schelmisch dieser tragikomische Konflikt ausgetragen und zur Paraphrase dafür, wie das Kulturgefälle zwischen Ost und West sich trotz vermeintlicher Globalisierung nicht entschärft hat. Was es bedeutet, wenn eine feministisch engagierte Sammlung wie die des Verbunds in Istanbul und damit in einem anderen, vom Islam beeinflussten Kulturkreis gezeigt wird, äußert sich allerdings auch darin, dass die Genitalien entblößenden Nacktdarstellungen eines David Wojnarowicz oder radikale Auseinandersetzungen mit dem krankheitsbedingten Verfall des eigenen Körpers der großartigen Hannah Wilke in dieser Sammlungspräsentation leider fehlen. Doch der Publikumsandrang beweist, dass ein individuelles Verlangen und der gesellschaftspolitische Bedarf nach der Auseinandersetzung mit Körperpolitiken und deren genderoffene Thematisierung stark existieren.
Mehr Texte von Ursula Maria Probst

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Held Together With Water
10.09.2008 - 11.01.2009

Istanbul Museum of Modern Art
34433 Instanbul, Meclis-i Mebusan Ave. Liman Isletmeleri Sahasi Antrepo No:4 Karaköy
Tel: +90 212 334 73 00, Fax: 0 212 243 43 19
Email: info@istanbulmodern.org
http://www.istanbulmodern.org/


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