Werbung
,

Tableaux Vivants: Mode und Modernität

Der Verfasser dieser Zeilen trug sich einst, vor einem guten Dutzend Jahren, mit dem Gedanken, seine Dissertation über das Tableau Vivant zu schreiben. Noch bevor er dazu kam, dieses Projekt reifen zu lassen, erblickte eine Vielzahl von Aufsätzen, Büchern, Reviews und Previews das Licht der Welt, und der Gedanke erledigte sich von selbst. Eine veritable Mode war geboren. Nun hat die Mode auch Wien erfasst. Tableau Vivant, das war einst, zu Zeiten von Rousseau und Goethe, ein Gesellschaftspiel, eine abendliche Grille, Gemälde zu nehmen, die Personen und Kompositionen herauszugreifen, und sie mit den Herr- und meistenteils Frauschaften, die zugegen waren, nachzuspielen. Man konnte etwas Bildung vorführen, etwas Wohlgestaltetheit und viel Emphase, denn im Zeitalter der Empfindsamkeit wollte man am eigenen Leib erleben, was sich als Kunstwerk in die Zweidimensionalität zwängte. Heute haben wir wieder ein Zeitalter der Empfindsamkeit, und der eigene Leib ist so etwas wie eine Heilige Kuh. Als solche will er geschmückt und ausgestattet und mit Besonderheit aufgeladen werden. Die Ausstellung in der Kunsthalle Wien listet anhand von 35 künstlerischen Positionen auf, wie man es anstellt, die meistenteils eigene Anatomie ins rechte, das heißt ins Ästhetische drapierende Licht zu rücken. Cindy Sherman und Yasumasa Morimura, Gilbert und George und Pierre und Gilles liefern die Beispiele für jene Rollenspielchen, die nach einem alten Begriff \"Attitüden\" heißen. Die Versammlung sieht insgesamt aus wie ein Film von Peter Greenaway. Artifizialität, Blasiertheit, Kostüm- und Waschzwang zuhauf. Die Ausstellung willfährt einem Trend, und insofern ist es nur konsequent, wenn sie der Ausstaffierung von Identitäten nachspürt. Sie verfolgt das Nachstellen von Posen, nicht von Bildern, und es ist also folgerichtig, dass ein Jeff Wall und ein Mark Tansey fehlen. Denen nämlich geht es um die Werke, um Gemälde von Manet zum Beispiel oder von Delacroix, und um die Frage nach ihrer Aktualität. Um die Frage, was bleibend ist an solchen Darstellungen und was im Flüchtigen versandet. Wall oder Tansey geht es um Modernität. Der Ausstellung geht es um Mode.
Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Tableaux Vivants
24.05 - 25.08.2002

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: