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I Might Die Before I Get a Rifle - Ein Projekt von Walid Raad: Fiktion auf vermintem Boden

Oder über die Schwierigkeit, in Beirut das Vertrauen in Zeit und Raum wiederherzustellen. Bekannt wurde Walid Raad durch sein Konstrukt „The Atlas Group“ und ihrem Archiv zum libanesischen Bürgerkrieg (1975-90/91). Im Heidelberger Kunstverein wird nun ein neues Projekt des libanesischen Künstlers präsentiert, das sich mit der zeitgenössischen arabischen Kunstgeschichte beschäftigt. Die gezeigten Arbeiten waren bereits 1989 in einer Ausstellung in Alexandria, Ägypten, zu sehen und stammen von fünf libanesischen Künstlern, die sich mit den Auswirkungen des Krieges auseinandersetzen. Stutzig macht jedoch, dass weder die fünf Künstler zur Eröffnung erschienen noch der vermeintlich berühmte arabische Kurator Marwan Baroudi, der die über die ganze Welt verstreuten Arbeiten in vierjähriger, mühevoller Arbeit wieder zusammensuchte. Was also steckt hinter der Ausstellungsrekonstruktion, dem Projekt mit dem sperrigen Namen „I might die before I get a rifle“? Wer sich die Biografie des Kurators in Pressemitteilung oder Wandtext genauer ansieht, erkennt, dass es sich um eine fiktive Person handeln muss, da nicht Baroudi, sondern der legendäre Ausstellungsmacher Harald Szeemann 1968 die Schau „When attitudes become form“ kuratierte. Ebenso wenig existieren die Künstler außerhalb des Raad-Universums, sondern sind wie die Fotoserien und dazugehörigen Texte vom Konzeptkünstler geschaffen. Zu sehen ist etwa eine Serie von Fotografien, die Raad während des Angriffs der Israelis auf Beirut im Jahr 1982 aufgenommen hat, oder seine Orgelpfeifen-gleich aufgereihten und vor weißem Hintergrund abfotografierten Patronenhülsen, die er in seiner Kindheit sammelte wie andere Murmeln. In einer mal kitschig-süßen mal klinisch-archäologischen, in jedem Fall Distanz schaffenden Ästhetik werden Spuren des Krieges festgehalten, die das dahinter stehende Grauen nur erahnen lassen. Der fiktive Charakter bleibt in der Ausstellung jedoch weitestgehend verborgen – alles scheint dem gemeinen Besucher glaubwürdig: Fünf Künstler verarbeiten in ihren Arbeiten den Bürgerkrieg, die libanesische Geschichte. Und Walid Raad untersucht das junge Phänomen vom Einzug der Gegenwartskunst in den Nahen Osten. Aber auch das ist ok, denn auch auf dieser Ebene funktioniert die Ausstellung.
Mehr Texte von Conny Becker

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I Might Die Before I Get a Rifle - Ein Projekt von Walid Raad
22.11.2008 - 01.02.2009

Heidelberger Kunstverein
69117 Heidelberg, Hauptstrasse 97
Tel: +49 6221 18 40 86, Fax: +49 6221 16 41 62
Email: hdkv@hdkv.de
http://www.hdkv.de/
Öffnungszeiten: Di - Fr 12:00 - 19:00, Sa - So 11:00 - 19:00


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