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Kultur und Kompensation

Nun also auch die Messen. Skepsis, Ungenügen, Baisse in den Kojen. Nur noch fünf statt zehn Sammler balgen sich um den neuesten Koons, und der Typus [...] musste sich gar bereits von fünfzehn seiner fünfzig Assistenten trennen. Die Krise hält jetzt auch die Kunst am Wickel. Kulturgeschichtlich muss man ihr dankbar sein. Nichts besseres für die Qualität als ein Sinken der Quantität. Kultur hat nichts zu tun mit Wiederspiegelung der gesellschaftlichen Zustände in den ästhetischen. Kultur ist Kompensation. Je schlechter die Konjunktur, um so deutlicher die Blütezeiten. Zum Beispiel Florenz um 1400, Donatello, Brunelleschi, Ghiberti. Das Gemeinwesen war in höchster Gefahr, Giangalezzo Visconti, der Tyrann von Mailand, saß ihm im Nacken, und im engsten Eck begann man das republikanische Selbstverständnis auszupacken und mit ihm dessen Geschichte im Alten Rom. Die Entdeckung der Antike folgte dem Zusammenbruch des Status Quo, die „Crisis of the Early Italian Renaissance“, so hat Hans Baron es in seinem Standardwerk von 1955 genannt, steht am Anfang der Neuzeit. Oder Venedig im 16. Jahrhundert. Palladio, Tizian, Veronese traten auf den Plan, als die Serenissima zum kleinen Hausierer an der Adria geworden war, weil die Handelswege längst woanders, am Atlantik, waren. Paris im Fin de Siècle: Was war segensreicher für Impressionismus, Eiffelturm und Avantgarde als die Niederlage von 1871 gegen die Deutschen? Berlin in den Zwanzigern sowieso, Dada, Benjamin und Brecht umgeben von zusammengeschossener Revolution, Geldentwertung und Parteiengezänk. Oder Wien. Die Stadt hat Epoche gemacht, Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ oder Musils „Mann ohne Eigenschaften“ geschrieben, den Karl-Marx-Hof gebaut und sich analytische Philosophie und Zwölftönerei ausgedacht, als sie der Wasserkopf eines Staatskörpers war, der himmelschreiend gestutzt wurde. Wien um 1900 ist eine Über-, Wien in den Zwanzigern ist eine Untertreibung. Die Krise macht es möglich. Nun ist sie weltweit. Freuen wir uns also auf den Take Off in die globalen Sensationen. Vergessen wir das Mittelmaß, Hirst, Rauch, (Daniel) Richter, oder gleich die Unterklassigkeit, Martin Eder, Jonathan Meese, Peter Doig, die uns bisher beutelten. Wie war das noch mit den Chinesen und ihrer Belanglosigkeit? Überlassen wir sie allesamt der Sphäre, auf die sie sich ohnedies konzentriert haben, den Markt. Geldverdienen ist out. Jetzt erwarten wir den Boom.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
muss jetzt Herr Metzger schon von der Redaktion zensuriert werden?
k.A. | 21.11.2008 09:18 | antworten
Sonst heißt es doch immer von seiner Seite: ist ja eine Glosse... und ich bin natürlich neugierig, wen er mit seinem "Typus" verunglimpft hat, damit ich mich dann wieder meinerseits über Herrn Metzger aufregen kann.

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