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Viennale 08: Raritäten und anderes

Heute (17. Oktober, 2008) Abend eröffnet die Viennale. Wieder sind schon im Vorfeld etliche Filme ausverkauft. Dagegen hilft einerseits der Viennale Bonus-Track, ein eingeschobener Spieltermin täglich um 18:30 Uhr im Künstlerhauskino, zu dem auch einer der hier empfohlenen Filme ein weiteres Mal zu sehen sein wird. Manche der besonders gefragten Filme werden nach der Viennale sowieso regulär im Kino anlaufen und können dann nachgeholt werden. Und als letzte Alternative geht man einfach auf gut Glück ins Kino und hofft auf eine Karte direkt vor der Vorstellung – was meistens klappt. Oder: Man wählt ein Alternativprogramm. Hier einige Vorschläge dazu. Bonustrackverdächtig war erstaunlicherweise der schräge „Dokumentarfilm“ „My Winnipeg“ des kanadischen Experimental-Filmemachers Guy Maddin. Seine surreale Hommage an seine Heimatstadt Winnipeg ist eine traumartige Collage aus realen und – wohl häufiger noch – erfundenen Elementen. So schlafwandlerisch wie die Bewohner von Winnipeg, der „Welthauptstadt der Sorgen“, bewegt sich auch Guy Maddin in seinem absurd-düsteren Filmprojekt voran. In punkto Seltsamkeit, natürlich im positivsten Sinn und auf völlig andere Art, kann es Eric Rohmers Schäferspiel „Les amours d'Astrée et Céladon“ aufnehmen. Dieser heitere Film über die Irrungen und Wirrungen eines Liebespärchens zwischen Irdischem Paradies und Mythologie ist die Verfilmung eines Hirtenromans aus dem 17. Jahrhundert, in Sprache, bunten Kostümen und klassischen Bildkompositionen ganz der Literatur und Kunst dieser Epoche nach empfunden – ein Rückgriff in die Zeitlosigkeit. Denn Arkadien als Ideal menschlicher Beziehungen ist hier und jetzt, und doch so fern! Völlig anders, nämlich in der tristen Realität des Alltags einer afroamerikanischen Familie im Mississippi-Delta angesiedelt, kommt Lance Hammers Debütfilm „Ballast“ daher. Alles ist trist, von Elend geprägt: Die Landschaft, in der zu Beginn ein Selbstmord geschieht, die Behausungen, in denen man wohl nur depressiv werden kann, selbst das Wetter hält sich an den traurigen Konsens. In diesem Setting entwickeln sich menschliche Beziehungen wie Eisblumen auf einer Fensterscheibe im Schatten eines Gletschers: zaghaft und verletzlich. Auf andere Weise im Gedächtnis bleibt der Dokumentarfilm „Be Like Others“. Das erstaunliche Thema: Geschlechtsumwandlungen im Iran. Was man in unseren Breiten wohl nicht vermutet hätte: Im Iran wird Homosexualität mit der Todesstrafe bedroht, aber Geschlechtsumwandlungen sind erlaubt. Tanaz Eshaghin lässt eine Anzahl von jungen Männern kurz vor und nach ihrer schweren Operation über ihr Vorhaben, ihre Sehnsüchte und Ängste sprechen. Dabei wird klar, dass wohl viele von ihnen damit schlicht einen Ausweg in die Legalität des anderen Geschlechts suchen, die ihnen als Homosexuelle in ihrem Land unter Androhung schwerster Bestrafung verwehrt ist. Das große Highlight dieser Viennale ist die wuchtige, über drei Stunden lange Spieldokumentation „Jitsuroku Rengo Sekigun – Asama Sanso e no Michi“ („United Red Army“) von Wakamatsu Koji. Eine Kadergruppe der „United Red Army”, Japans Pendant zur RAF, versteckten sich im Winter 1971/72 in einer Berghütte. In der Einsamkeit und Ausgesetztheit kam eine Spirale brutalster Selbstzerfleischung in Gang: 14 Mitglieder fielen unfassbar konsequenten Selbstkritik-Sitzungen zum Opfer. Die wenigen Überlebenden verschanzte sich danach in einem Privathaus, wurden aber zuletzt von der Polizei überwältigt. Wakamatsus differenzierte, in ihrem geduldigen Insistieren schon quälend genaue Analyse des Scheiterns der Utopie einer Weltverbesserung durch Terror verweist ein profitorientiertes Unternehmen wie "Der Baader Meinhof Komplex" endgültig auf den letztmöglichen Platz.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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