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Es gibt keine Theorie mehr

Wie nennt Okwui Enwezor die Auftritte seines documenta-Trosses, mit denen er seit einem Jahr die Welt überzieht? Er nennt sie \"Plattform\". Und wie heißt der neue Roman von Michel Houellebecq? Er heißt \"Plattform\". Damit sind wir schon mitten im Thema. Heute wollen wir ein wenig darüber theoretisieren, dass es keine Theorie mehr gibt. Theorie in dem Sinn, was beim Fernsehen einst ein Strassenfeger war. Theorie als jene Sonderlieferung aus einem gut aufgeräumten Oberstübchen, an der sich alle dann gütlich tun konnten. Eine solche Theorie gibt es nicht mehr, weil es die Theoretiker dazu nicht mehr gibt. Wenn sich unsereiner heute beim Intellektuellen-Jour Fixe trifft, dann haben alle von den Stammtischbrüdern und -schwestern einen jeweils anderen Favoriten. Der eine sagt Dirk Baecker, die nächste meint Elaine Scarry, der folgende plädiert für Elisabeth Bronfen, und dann gibt es ja auch noch Peter Sloterdijk (die Namen lassen wir jetzt einfach mal so stehen). Es gab eine Zeit, da gab es noch Theorie. Damals, als unsereiner anfing, war Jean Baudrillard der Held: Was schwelgten wir seinerzeit in Simulation! Dann wurde Gilles Deleuze modern, und alle suchten wir unter dem Teppichboden nach dem Rhizom. Anschließend spielten wir Derridada. Lacancan konnten wir auch linksherum. Aber heute? Heute geben sie in Wien eine Vortragsreihe zum Thema \"Globalisierung und Gewalt\" und lassen dabei den alten Baudrillard und den noch älteren Slavoj Zizek auftreten. Das ist ungefähr so intelligent wie eine Österreich-Werbung mit Mozart-Kugeln. Händeringend suchen wir nach einem Stichwortgeber, einem Einflüsterer, der unsere Schreibarbeit mit dem Großen und Ganzen der Weltläufte vereinbart. Doch es gibt keine Theoretiker mehr. Der einzige Autor, auf den sich jeder beruft und von dem alle etwas zu wissen meinen, ist das krasse Gegenteil davon. Er ist ein Phänomen und heißt Michel Houellebecq. \"Metzger, geh scheissen\", durften wir neulich einmal als Ernte unserer Berichterstattung über den Wiener Kunstbetrieb einfahren. Michel Houellebecq hätte es nicht eleganter ausdrücken können. Bei ihm liest sich derlei etwa als \"Jacques Prevert ist ein Arschloch\". Das schreibt sich heutzutage leicht so hin, denn es gibt ja keine Theorie mehr. Dafür haben wir wieder eine Philosophie aus dem Boudoir.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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