Iris Meder †,
Alles Tango!
Ob ein Ball eine Extremform des Daseins ist oder aber im Gegenteil die Quintessenz des wirklichen Lebens und hingegen das, was sich so tagtäglich abspielt, nur eine müde Scheinform desselben - darüber ließe sich beim einen oder anderen Gläschen Mounier-Champagner wohl trefflich philosophieren. Als jemand, der, abgesehen vom alljährlichen Mauerblümchenball, noch nie auf einem Ball war (und das auch mit dem Autor gemeinsam hat), sollte sich die Rezensentin des Buches "Alles Walzer" mit derlei Weisheiten aber wohl eher zurückhalten.
Jedenfalls ist hier viel zu entdecken, was die Wiener Ball- und damit wohl doch auch Lebenskultur betrifft - etwa dass der Walzer lange Zeit kaum eine Relevanz hatte und vielmehr Tango und Jazz die wirklich angesagten Dinge auf Bällen (eben Bällen), Redouten (Kostümfesten) und Gschnasen (gibt es diesen Plural? - jedenfalls Künstlerfesten) waren. Dass man auf dem Kaiserball zu gehen hatte, wenn der Kaiser sich zurückzog - nämlich schon um Mitternacht. Dass später bei moderaten Eintrittspreisen mehr als 4000 Menschen bis in den Morgen im Künster- oder Konzerthaus tanzten und dann mit der außertourlich verkehrenden Straßenbahn nach Hause gebracht wurden. Dass Größen wie Karl Farkas und Fritz Grünbaum satirische Ballspenden in Form von Zeitungs-Parodien beisteuerten und die in den Gesellschaftsblättern ausführlich besprochenen Balltoiletten anschließend in der "Fackel" böse kommentiert wurden. Dass der "Gesindeball" seinen Ursprung in der Tatsache hatte, dass Künstler in Deutschland steuerlich als Gesinde geführt wurden. Dass es bei der "Pyjama Redoute" zu tumultuösen Szenen an der Garderobe kam. Oder dass die Großveranstaltung "Ball im Savoy" wegen der Februarkämpfe 1934 abgesagt werden musste. Und im Jahr darauf der mangels Erfolgs aufgelassene Opernball neu aufgelegt wurde, um Touristen in das durch die Tausend-Mark-Sperre Nazideutschlands schwer getroffene Land zu bringen.
Nicht zuletzt ist das Buch - dem man ein größeres Format wünschen würde - aber einfach auch ein ästhetischer Genuss, mit Highlights wie den Rokoko-beeinflussten Kompositionen von Bernd Steiner oder Joseph Binders Plakat für die Opernredoute 1928, das feinste Pariser Art-Déco-Eleganz verströmt. In diesem Sinne: Alles Tango.
Christian Maryska
Alles Walzer. Redouten-, Gschnas- und Ballplakate
Brandstätter, Wien 2007
224 Seiten, ca. 100 Farbabbildungen, Broschur
ISBN 978-3-85033-0800
€ 19,90,-
Im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung in der Österrichischen Nationalbibliothek; 30. November 2007 - 3. Februar 2008
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