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Cranach der Ältere, Grünewald und seine Zeit: Wilde Männchen und wilde Maler

Irgendwo hinten im Gebüsch soll das Männchen kriechen. Man erkennt es kaum mit bloßem Auge, und wenn, dann kann es auch allein ein Pinselstrich sein, den man mit Bedeutung auflädt. Geht es nun nach der Ausstellung, mit der das Frankfurter Städel einen aufregend-aufgeregten Blick auf Lucas Cranach richtet, ist die klandestine Gestalt indes von herausragender Wichtigkeit. Dann ist das Gemälde aus der Zeit um 1520/30 kein höfisches Porträt und keine Genre-Szene einer Mutter mit Kind, sondern die Illustration eines äußerst selten gespielten Themas: "Die vom heiligen Chrysostomos vergewaltigte Prinzessin" soll es darstellen, die Frucht der aggressiven Beziheung süß, das Opfer sehr weiblich und sehr gut gekleidet und der Täter irgendwo in Stecknadelgröße im Unterholz. Der Kurator des Städel, Bodo Brinkmann, ist vor Jahresfirst mit einer Schau zu einem Hexenbild von Hans Baldung Grien hervorgetreten, und er hat dabei auf die überzeugendste Weise dem Zeitalter Dürers auf den Unterleib geschaut. Nun ist Cranach dran. Die Idee mit dem Heiligen, der den Vergewaltiger abgibt, ist natürlich von unerhörter Zeitgeistigkeit, und Brinkmann gebricht es auch diesmal nicht an originellen Einschätzungen und dezidierten Beweisen: Wie Cranach im Wiener Frühwerk den wilden Maler spielt und sich per Exaltiertheit und Übertreibung seinen Platz sucht im erstaunlichen künstlerischen Take-Off dieser Jahre nach 1500. Wie Cranach in Wittenberg zum Hofmaler wird, sich glättet und zügelt und courtoise Blasiertheit an den Tag legt. Wie Cranach mit dem nötigen Opportunismus der Reformation zuarbeitet und gleichzeitig ihrem grimmigsten Gegner in Deutschland, dem Kardinal Albrecht von Brandenburg. Oder wie Cranach zum Bilderlieferanten schlechthin wird in den langsam zur Bürgerlichkeit kommenden Haushalten, indem er seine Gemälde kopiert, repliziert und per Grafik reproduziert. Wie stets bei Brinkmann tragen die Künstler bei aller Vergangenheit ihres Wirkens die rezentesten Züge. Ob das wilde Männchen in seiner winzlingshaften Unbehaustheit einem Frauenbildnis wirklich zu ikonographischer Monumentalität verhilft, sei indes, bei aller Reverenz vor der kuratorischen Wachheit dieser Ausstellung, bezweifelt. Nicht ganz so überzeugend ist die Präsentation, die die Karlsruher Kunsthalle einem Zeitgenossen Cranachs angedeihen lässt. Mathis der Maler, der 150 Jahre nach seinem Tod von Joachim Sandrart auf den Namen Grünewald gebracht wurde, ist ein Lieblingskind aller Expressionisten. In der Tat wurde er erst weit posthum eine Größe, und in seinem Künstler-Leben, das natürlich im Isenheimer Altar kulminiert, musste er sich bisweilen als Seifensieder verdingen. Heute ist Grünewald mit der Ausdrucksstärke seiner Gesten und der unmittelbaren Leidensfähigkeit seiner Gesichter für jedes Museum ein Selbstläufer. Gerade das ist das Karlsruher Problem. Man besitzt fünf Gemälde des Meisters, der wohl in Aschaffenburg geboren wurde und etwa zeitgleich mit Dürer starb, fügt sechs weitere Arbeiten, Zeichnungen vor allem hinzu und nennt die Addition dann "Grünewald und seine Zeit". Dass ein Großteil der Exponate nichts anderes als Passionsware darstellt, Bildchen in allen Darbietungsformen vom Leiden und Sterben unseres Herrn Jesu Christi und zwar in den schreiendsten Varianten dessen, was eine noch ungehobelte Druckgraphik hergibt, bleibt ungesagt. Um so enttäuschter dann die Erwartungen. Und um so unkuratierter die Ausstellung, die ganz auf den großen Namen setzt, um ihn zu verfehlen. Dass sie einen zweiten Teil für sich reklamiert, den Isenheimer Altar im gut hundert Kilometer entfernten Colmar, kann den Eitkettenschwindel dann auch nicht mehr ungeschehen machen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Cranach der Ältere, Grünewald und seine Zeit
23.11.2007 - 02.03.2008

Städelmuseum Frankfurt
60596 Frankfurt / Main, Dürerstr. 2
Tel: +49-69-605 098-0, Fax: +49-69-610 163
Email: info@staedelmuseum.de
http://www.staedelmuseum.de
Öffnungszeiten: Di, Fr - So 10 - 17 h, Mi - Do 10 - 21 h

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
76133 Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6
Tel: +49 721 926 33 59, Fax: +49 721 926 67 88
Email: info@kunsthalle-karlsruhe.de
http://www.kunsthalle-karlsruhe.de
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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