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Viva la Muerte - Kunst und Tod in Lateinamerika: Der Tod als Lebensstrategie

Die westliche Moderne hat den Tod verbannt. Aus dem prallen Leben ins sterile Krankenhaus zum Beispiel. Den modernen Bemühungen, die Sterblichkeit zu bewältigen, seien, so der Soziologe Zygmunt Bauman, postmoderne Anstrengungen gefolgt, die Unsterblichkeit zu dekonstruieren. In beiden Fällen ist der Umgang mit dem Tod für den Sozialwissenschaftler vor allem eins: Eine Lebensstrategie. Das ist in vielen lateinamerikanischen Gesellschaften offenbar common sense. Zur rituellen und kultischen Integration des Todes in den Alltag nimmt die Ausstellung "¡Viva la Muerte!" glücklicherweise immer schon eine vermittelte Position ein: Sie werden nicht dem voyeuristischen Blick oder - wie bei Octavio Paz - als mentale Wesenselemente präsentiert, sondern treten erst allmählich aus einzelnen, durchweg zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten hervor. So z. B. in der Fotoserie von Bastienne Schmidt, die Situationen von Trauer in verschiedenen Ländern großformatig in schwarz-weiß zeigt, oder in den Kitschfiguren, die Pedro Reyes in Anlehnung an den Kult um die "Santa Muerte" geschaffen hat. Die psychologische oder popkulturelle Verarbeitung des Sterbens ist aber bloß für einen Teil der Werke relevant. Andere beschäftigen sich eher mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die gewaltsame Tode zur Folge haben. Auch wenn man es dem Totenschädel mit der knochigen Clownsnase nicht direkt ansieht, die der brasilianische Künstler Vik Muniz geschaffen hat, verweist sie doch auf den Kontext der Militärdiktaturen der 1970er Jahre. Damals musste kritische Kunst sich einer verdeckten Formsprache bedienen, Muniz nennt diesen Handel mit subversiven Zeichen sehr schön einen "semiotischen Schwarzmarkt". Mit den überzeugendsten Bedeutungsproduktionsmitteln eingedeckt haben sich dort vor allem jene, die analytisch oder poetisch arbeiten. Zu ersteren gehört der Konzeptkünstler Francis Alÿs, der solange mit einer geladenen Pistole durch Mexiko-Stadt läuft, bis er von der Polizei gestoppt wird. Zu letzteren gehört die Body Art-Künstlerin Regina José Galindo, die mit blutigen Fußspuren vor dem Gerichtsgebäude auf die Gräuel des Bürgerkriegs in Guatemala (und deren Täter) erinnert. Hier wird deutlich: Als Lebensstrategie sagt der Tod auch etwas über die "soziale und kulturelle Organisation" (Bauman) einer Gesellschaft aus. Dieser nachzuspüren, gelingt in der ansonsten sehenswerten Schau nicht immer. So kippt der brachiale Realismus Santiago Sierras oder Teresa Margolles leicht in Octavio Paz´schen Seinsschwulst. Und an keiner Stelle erfährt man, dass der Ausstellungstitel auch ein faschistischer Slogan ist. Mit ihm auf den Lippen metzelten die Anhänger General Francos im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) Zehntausende ihrer republikanischen und anarchistischen GegnerInnen nieder.
Mehr Texte von Jens Kastner

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Viva la Muerte - Kunst und Tod in Lateinamerika
17.10.2007 - 17.02.2008

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


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