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Unmögliche Invarianten

Die aktuelle Ausgabe der Madrider Kunstzeitschrift Brumaria diskutiert ein unmögliches Thema: Kunst und Revolution. Unmöglich im umgangssprachlichen Sinne von nicht zeitgemäß oder abseitig, unmöglich aber auch in struktureller Hinsicht. In Die Regeln der Kunst hatte Pierre Bourdieu diese "Art gleichzeitig sozialer, sexueller und künstlerischer Globalrevolution", die über die Versöhnung künstlerischer und politischer Avantgarden im 20. Jahrhundert erträumt wurde, zu einer "Invariante" der jeweiligen Felder erklärt. Also für höchst unwahrscheinlich. Vielleicht ist deshalb das Wort Revolution auf dem Brumaria-Titel durchgestrichen. Der lehnt sich ansonsten in Wortlaut und Layout offenbar dem gleichnamigen Buch des Wiener Philosophen Gerald Raunig an. Dessen auch in Brumaria vertretene These von den "molekularen Revolutionen", die sich in der Trias Widerstand, Insurrektion (Aufstand) und konstituierender Macht auch gegenwärtig noch ergeben können, ist hier aber nur eine theoretische Herangehensweise unter mehreren. Andere stehen in der Tradition der Institutionskritik. Zwar wehrt sich beispielsweise Brian Holmes zu Beginn seines Aufsatzes dagegen, dass seine Texte unter dieser Rubrik fungieren, tritt dann aber gleich per Untertitel "für eine neue Institutionskritik" ein. Dass wer gegen die Institutionen des künstlerischen Feldes arbeiten will offenbar auch mit ihnen arbeiten muss, stellt Suely Rolnik schon am Beispiel der Arbeiten von Lygia Clark in den 1960ern und 1970ern heraus. Dieser Epoche widmet sich auch Ana Longoni und untersucht die Bedeutung der Begriffe "Avantgarde" und "Revolution" in der argentinischen Kunst jener Jahre. Die Fragen, die Alice Creischer und Andreas Siekmann zu ihrer Ausstellung ExArgentina diskutieren, führen jene Debatten fort. Solch angenehme Koinzidenzen bestehen allerdings nicht zwischen allen Beiträgen. Aufsätze über Gordon Matta-Clark oder die Performance in der gegenwärtigen Videokunst sind - wie alle Texte des Bandes - durchaus äußerst lesenswert. Allerdings hätten sie auch in jeder beliebigen Kompilation zu Kunst und Aktivismus oder Politik Platz finden können. Die zweifelsohne evidente Rolle der Kunst in der russischen, der mexikanischen oder der 68er-Revolution kommen hingegen - außer bei Raunig - nicht vor. Wenn auch unmöglich, ausgereizt ist das Thema also noch lange nicht. Brumaria. Practicas artísticas, estéticas y políticas, Nr. 8, Madrid, Frühjahr 2007: Arte y Revolución. [Alle Beiträge auf Spanisch und Englisch] www.brumaria.net
Mehr Texte von Jens Kastner

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