Werbung
,

Landwirtschaft und Schwermetall

Wacken wurde im Jahr 1148 erstmals erwähnt. "Funde am nordöstlichen Ortsrand aus frühzeitlicher germanischer Vorzeit lassen jedoch eine ältere Ansiedlung vermuten", informiert die in grün gehaltene, mit idyllischen Landschaftsfotos gezierte Website des biederen schleswig-holsteinischen Ortes. Einmal im Jahr aber, am ersten Wochenende im August, geht in dem norddeutschen 1900-Einwohner-Dorf die Post so lautstark ab, dass davon überall auf der Welt zu hören ist: Seit 1990 findet dort alljährlich das Wacken Open Air statt, inzwischen der Welt größtes Metal-Festival. Wer sich fragt, wie die in der Landwirtschaft beschäftigte Bevölkerung von Wacken mit dem Musikfestival und den zigtausend extravaganten Metal-Fans zurechtkommt, wird in dem preisgekrönten Dokumentarfilm "Full Metal Village" der seit 1990 in Deutschland lebenden Südkoreanerin Sung-Hyung Cho ein paar Antworten finden. Sung-Hyung Cho spielt die ungewöhnliche Dialektik zwischen Landleben und Schwermetall virtuos zum Vorteil ihres ersten eigenen Films aus. Ihre Beobachtungen, wie die DorfbewohnerInnen so leben, was sie tagtäglich treiben, wie sie die Welt betrachten, sind gleichermaßen beschaulich wie subtil. Mit leisem Humor und viel Sympathie werden die Einheimischen im Gesangsverein oder bei der Gartenarbeit porträtiert. Sung-Hyung Cho, der Fremden, die als Fragerin aus dem Off und manchmal auch im Bild den Bezugsrahmen ihrer Darstellungen absteckt, wird erklärt, wie frisch gestochene Kartoffeln aussehen oder was der Unterschied zwischen einem Kalb und einer Kuh ist. Zu idyllischen Landschaftsaufnahmen hört man Vögelgezwitscher. Wie das "Full Metal Village" dargestellt wird, erinnert ein wenig an das Dorf der Gallier in "Asterix": Menschen wie du und ich werden von ihren verschmitzten, schrulligen und pfiffigen Seiten her vorgestellt. Die Geschichte, deren Helden sie sind, das Open Air, bleibt jedoch im Hintergrund. Die Protagonisten sind wunderbar gecastet und die lapidare, zurückgenommene Filmmusik von Peyman Yazdaniyan unterstreicht die Anmutung des Anekdotischen. Erst allmählich schieben sich die Vorboten des Festivals ins Bild: die Ortstafeln werden abgebaut - um ihrer unrechtmäßigen Entfernung durch Fans vorzubeugen, wie man später erfährt -, Transparente montiert, Absperrungen aufgestellt. Als letztes mutieren die Dorfbewohner zum Festivalspersonal. Noch ein Blick auf das komplett vorbereitete, noch leere Dorf, dann geht das Spektakel los: Menschen aller Hautfarben, meist in Schwarz gekleidet, trudeln ein. Ein unwiderstehlicher Höhepunkt des Films ist die Eröffnung durch die Feuerwehrkapelle Wacken - mit Headbangen zur Blasmusik: Dieser koreanisch-deutsche Cocktail aus Landwirtschaft, Schwermetall und Leichtigkeit könnte süchtig machen. "Full Metal Village", Deutschland 2006, 94 min Regie: Sung-Hyung Cho www.full-metal-village.at Ab 14. September im Kino.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: