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Bluff und Brillanz im Überblick

Jörg Heiser hat den Überblick. Es wäre auch komisch, wenn er ihn nicht hätte, denn schließlich ist er der Chefredakteur einer renommierten Zeitschrift für zeitgenössische Kunst. Die Übersicht, die der Titel seines neuen Buches zur Gegenwartskunst ankündigt, kommt also so plötzlich nicht. Sie ist vielmehr das Ergebnis von hunderten von Ausstellungsbesuchen, Heftplanungssitzungen, Artikelrecherchen und von tausenden von gelesenen Seiten. Aber selbstverständlich ist das Titel gebende Zitat wie im Original ironisch gemeint: Vier Jahre, bevor Jürgen Habermas 1985 die viel zitierte "Neue Unübersichtlichkeit" bekannt gab, hatten die Schweizer Künstler Peter Fischli und David Weiss in einer Serie kleiner Tonskulpturen erstaunt festgestellt: "Plötzlich diese Übersicht." Heiser greift den Witz auf und widmet dem Slapstick in der Kunst das erste von vier Kapiteln. Seinen Untertitel aber meint er vollkommen ernst: "Was gute zeitgenössische Kunst ausmacht." Das klingt ziemlich großkotzig. Und man muss schon zu den Arrivierten gehören, um mit einem solchen Anspruch antreten zu können, ohne ausgelacht werden. Aber abgesehen davon, dass er sich mit solchen Voraussetzungen der Kritik- und Kunstproduktion nicht lange aufhält, hat Heiser ein solides Überblickswerk verfasst. Im Gegensatz zu so manch anderem Buch zum Thema bleibt er dabei ganz am Gegenstand. In einem irren Tempo heizt er durch die letzten fünfzehn Jahre der Kunstproduktion, beschreibt und erklärt - manchmal zu knapp und dann wieder detailliert -, was Künstlerinnen und Künstler so fabriziert und aufgeführt haben oder warum sie was gerade nicht taten. Anhand verschiedener Spannungsfelder stellt ein Werk nach dem anderen vor und streift dabei auf unakademische Weise historische Vorläufer und relevante Theorien. In den Vergleichen der künstlerischen Arbeiten ergibt sich dann tatsächlich auch das, was man braucht, um begründen zu können, was der Untertitel ankündigt: Maßstäbe dafür, was gute Kunst ist und was nicht. Gute Kunst sollte laut Heiser die Spannung zwischen Albernheit und Pathos, Illusion und Dokumentation, Kommerz und Kritik, "Bluff und Brillanz" aufrechterhalten. Nicht vereindeutigen und sich nicht instrumentalisieren lassen. Und sie muss, so Heiser, dahin gehen, wo es wehtut, "mitten hinein in die verknöcherten Verhältnisse, von denen sie selbst hervorgebracht wird." Das Buch jedenfalls wird in diesen Verhältnissen eher Kurzweil als Schmerzen bereiten. Jörg Heiser: Plötzlich diese Übersicht. Was gute zeitgenössische Kunst ausmacht Claassen Verlag, Berlin 2007, 368 S., 22 Euro. www.ullsteinbuchverlage.de/claassen
Mehr Texte von Jens Kastner

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