Rainer Metzger,
Anzengruber Biennale
Das schönste an Tirana, Taipeh oder Tijuana ist bekanntlich die Biennale. Einzig, so wurde an dieser Stelle schon des öfteren lamentiert, Wien hat noch nichts Schönes. Dass sich das jetzt ändert, ist einem rührigen Personenkreis aus dem Umfeld von Wirtschaftspolitik und Lokalredaktion zu verdanken. Die Crux von Biennalen ist ja, dass sie immer schon alle zwei Jahre stattfinden, und man kaum erwarten kann, sie hinter sich zu bringen, damit man für absehbare Zeit wieder seine Ruhe hat. Die Biennale, wie sie jetzt Wien ins Haus steht, hätte demgegenüber das Zeug zu einer Quotidiale. Denn im Anzengruber will man jeden Tag sitzen. Oder zumindest stehen.
Die Anzengruber Biennale, wie sie am kommenden Mittwoch für viel zu kurze drei Tage über die Bretter, die vor Ort die Welt bedeuten, geht, versammelt die Weltkunst im Stammcafé. Während man sich in anderen Etablissements gern von einem Tisch zum nächsten nicht einmal kennt, und wenn-der-da-ist-komm-ich-schon-gleich-nicht-mehr murmelt, ist die Anzengruber-Familie natürlich ein einziges Miteinander, und das sieht man der hier unermüdlich produzierten, in Hirnen und Herzen von universaler Geltung erfüllten, von Hochgeistigkeit in jeder Beziehung durchwirkten Kunst auch an. Einiges davon, Unsterbliches von Richard Hoeck und Stefan Sandner, Flora Neuwirth und Marco Lulic, von Hans Schabus und Johanna und Helmut Kandl, von internationaler Prominenz wie Olaf Nicolai, Darren Almond oder Peter Weibel nicht zu reden, soll dann auf der Anzengruber Biennale seine verdiente Reverenz erwiesen bekommen.
Anbei ein kleiner Beitrag aus der Fremde. Vielleicht findet sich ja noch ein Platz auf der Biennale für das Porträt des Café Anzengruber, wie es vor 120 Jahren Vincent van Gogh geschaffen hat. Das Billard, der Stammtisch rechts davon, der Durchgang ins Hinterzimmer, die resolut im Stil der Alten gestalteten Lampen, die von der Denkanstrengung in der Fasson gehaltenen Silhouetten der Gäste und nicht zuletzt Gigi, der Oberkellner ? alles ist heute noch so wie damals. Er habe, schrieb van Gogh, "auszudrücken versucht, daß das Café ein Ort ist, wo man sich ruinieren, wo man verrückt werden und Verbrechen begehen kann." Aber doch nicht im Anzengruber, und außerdem, so wiederum van Gogh, der "Gastwirt ist schließlich kein schlechter Mensch." Was man wirklich so sagen kann, und das gilt von allen den liebenswerten Mitgliedern der Familie Saric.
Während sich unsereiner also in der Weltgeschichte abmüht und die Grand Tortour absolviert, macht man in Wien das einzig Richtige. Der schönste Platz für sich und die Bilder ist immer noch an der Theke. Wir wünschen die gelungenste Eröffnung aller Zeiten. Sie findet statt am Mittwoch, den 20. Juni, um 18 Uhr. Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich neide.
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