Johanna Hofleitner,
52. Biennale von Venedig - die Länderpavillons: Maximale Elastizität
Wie weit ist das Motto, das die jeweilige Kommissäre für die von ihnen geleitete Ausgabe der "Kunstausstellung" der Biennale di Venezia ausgeben, eigentlich verbindlich? Zumindest was die Länderpavillons in den Giardini anbelangt, stellt sich diese Frage für die Rezensentin jedes zweite Jahr aufs neue. Slogans wie "Dreams & Conflicts" (2003), "The experience of art. Always a little bit further" (2005) oder diesmal "Think with the Senses - Feel with the Mind" - ihr Interpretationsspielraum ist von maximaler Elastizität, anwendbar sind sie auf die eine oder andere Weise fast immer. Und auch bei der aktuellen Kunstbiennale sind mit dem reziproken Verweis auf "Denken" und "Fühlen" zwei Kategorien genannt, die so oder so mit der Rezeption von Kunst unabdingbar verknüpft sind.
Wirklich präzisieren lässt sich also der hinter den jeweiligen Motti liegende Gedanke faktisch allenfalls in der (im Idealfall) vom Chef-Kurator - diesmal dem US-Star-Kurator Robert Storr - konzipierten Hauptausstellung. Und auch das ist Storr eigentlich schuldig geblieben. Die gängige Aufsplittung der Leit-Ausstellung auf die beiden Schauplätze Giardini und Arsenale hat nur insofern eine Bedeutung, als Storr den traditionell international bespielten italienischen Pavillon in den Giardini für ein höchst persönlich gefärbtes (und einem Name-Dropping gleichzusetzendes) Defilee der Granden vor allem westlicher Kunst hernimmt.
Entsprechend finden sich hier also in erster Linie neuere Hauptwerke älterer Künstler von Bourgeois über Kippenberger, Kabakov, Polke, Richter bis Weiner, erweitert um wenige jüngere Positionen wie Kara Walker, Dan Perjovschi, Rainer Ganahl oder Pierre Huyghe. So erfreulich manche Begegnung mit den Kunstwerken ist - etwa mit Bruce Naumans intensiver Rauminstallation "Venice Fountains", die mit zwei Waschbecken, Schläuchen, zwei Wachsmasken und Sound auf beklemmende Weise die spezifische Atmosphäre der Lagunenstadt einfängt, mit Raoul De Keysers analytisch-poetischen Bildern oder mit Sol Lewitts gekritzelter Doppelinstallation "Light to dark / Dark to light" - neue Erkenntnisse sind aus der Ausstellung nur wenige zu gewinnen. Überraschende Ausnahmen bilden die textbasierte Malerei Jenny Holzers, die neuen Reliefbilder von Ellsworth Kelly und die verängstigten Figuren in den Bildern und Zeichnungen des jungen Japaners Izumi Kato. In die Kitschfalle tappt hingegen Lawrence Weiner mit einer geschmäcklerischen Schriftarbeit für die Fassade des Pavillons.
Dem Gestus der Musealisierung hat am meisten wohl Sophie Calles Beitrag standgehalten: die Installation "Pas pu saisir la Mort", eine ebenso sensible wie eindringliche Reflexion über das langsame Sterben der Mutter der Künstlerin, bestehend aus Video, Texttafeln und Fotografien. Mit dieser kleinen feinen Arbeit stellt die Französin, die von Gastkurator Daniel Buren auch für den französischen Pavillon eingeladen wurde, zweifellos ihren eigene, daselbst gezeigte Installation in den Schatten, für die sie das Abschieds-E-Mail, das ihr von ihrem Geliebten geschickt wurde, von 107 (!) Frauen unterschiedlichster Profession analysieren lässt: von der Psychoanalytikerin über die Linguistin, die Tänzerin, die Kommissarin bis zur Schachspielerin. So eindrucksvoll die monumentale Installation in ihrer Komplexität und Nichtredundanz ist: ziemlich schwer verdaulich ist denn doch ihr emotionaler Anteil - eine Gefühlslage, die nicht unähnlich im benachbarten deutschen Pavillon auch Isa Genzken vermittelt: Wie um den chefkuratorisch vorgegebenen Sentiment-Anteil nicht zu kurz kommen zu lassen, grenzt Genzken sich von der Geschichtslastigkeit des Gebäudes durch eine psychotisierende Verspiegelung ab, füllt den Raum mit von der Decke herabhängenden Henkersschlingen, hingeworfenen lebensgroßen Puppen und einer Unzahl von Trolleys, die mit Flohmarktramsch vollgestopft sind. Denken heißt hier Grübeln, Fühlen erfriert im Leid.
Viel frecher spielt dagegen die Britin Tracey Emin auf der Klaviatur der Emotion und entwickelt für den als Zentralbau angelegten Pavillon eine aufgeheizte Erzählung über weibliche Sexualität, das Ich und das Es, die sie ausgehend von winzigen Prints über Neonschriftarbeiten, Aquarelle und Stickbilder in krude zusammengezimmerten Holzskulpturen implodieren lässt. Ein Highlight bildet schließlich auch im ansonsten recht heterogenen russischen Pavillon die Mehrkanalvideo-Projektion "Last Riot" der Künstlergruppe AES+F: eine aus realen und animierten Bildern perfekt zusammengesetzte und apokalyptisch verfremdete Zusammenschau ökologischer und politischer Katastrophen.
So sehr Arbeiten wie die genannten im Wettstreit der Intensitäten miteinander konkurrieren (und im übrigen, wie die Reaktionen der Biennaletouristen zeigten, polarisieren): In ihrer Komplexität zählen sie zu den eindrücklichsten Beiträgen dieser Biennale. Hervorzuheben ist weiters noch "Citizens and Subjects": eine kritisch-kühle Reflexion des Holländers Aernout Mik über den Nationalstaat. Ebenso das raumgreifende Modernismuszitat kommunistischer Zweckarchitektur, das Monika Sosnowka in Form eines 1:1 Modells in den polnischen Pavillon gezwängt hat. Schön, aber zugleich harmlos wirkt dagegen die Würdigung des Lebenswerks von Felix Gonzalez-Torres im US-Pavillon. Ansonsten regieren in den Giardini auch diesmal Mittelmaß und Kunstmarktkitsch.
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52. Biennale von Venedig - die Länderpavillons
10.06 - 21.11.2007
Österreichischer Pavillon - La Biennale di Venezia
30122 Venezia, Giardini della Biennale
https://www.biennalekneblscheirl.at
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h, Fr, Sa bis 20 h,
Montag geschlossen außer 25/07, 15/08, 5/09, 19/09, 31/10, 21/11
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