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Es sind die Nerven

Die kunstbetriebliche Haupt- und Staatsaktion in unser aller Kaiserstadt Wien war in der letzten Woche sicherlich die Präsentation des Österreich-Heftes von "frame". Der Verfasser dieser Glosse verhehlt nicht, dass er das Seinige zur Materialfülle des veritablen Ziegelsteins beitrug. Der Text, der im Juli 2003 bei ihm bestellt wurde, den er im August 2003 ablieferte und der jetzt unverändert zum Abdruck gekommen ist, trägt den Titel "Die Welt von gestern", und hat durch die Zeitumstände seiner Publizierung zweifellos eine neue Facette gewonnen. Wie alle anderen versucht er sich an der Frage abzuarbeiten, was nun das Österreichische wäre an der hiesigen Kunst. Dabei ist die Antwort im Grunde ganz einfach. Es sind die Nerven. "Wenn die Romantik Mensch sagt, so meint sie Leidenschaft und Sinne", verfügte schon Hermann Bahr, der Programmatiker der Wiener Secession, "wenn die Moderne Mensch sagt, so meint sie Nerven." Nerven ist das Schlüsselwort zur Wiener Kultur um 1900, und sie treten zutage in den Getriebenheiten, wie Schnitzler, in den Launenhaftigkeiten, wie Klimt, oder gleich in den pathologischen Zuständen, wie Freud sie beschrieb. Bahr, der Impresario, hat sie auf den Punkt gebracht: "Sich verkünden, das Selbstische, die seltsame Besonderheit, das wunderliche Neue. Und dieses ist im Nervösen." 30 Jahre später schreibt Walter Benjamin seinen berühmt-berüchtigten Essay über Karl Kraus, und er zitiert darin den Wiener Journalisten und Schriftsteller Robert Scheu: "Kraus hatte einen großen Gegenstand entdeckt, der nie zuvor die Feder eines Publizisten in Bewegung gesetzt hat: Die Rechte der Nerven. Er fand, daß sie ein ebenso würdiger Gegenstand einer begeisterten Verteidigung seien wie Eigentum, Haus und Hof, Partei und Staatsgrundgesetz. Er wurde der Anwalt der Nerven und nahm den Kampf gegen die kleinen Belästiger des Alltags auf, aber der Gegenstand wuchs ihm unter den Händen, er wurde zum Problem des Privatlebens. Es zu verteidigen gegen Polizei, Presse, Moral und Begriffe, schließlich überhaupt gegen den Nebenmenschen, immer neue Feinde zu entdecken, wurde sein Beruf." Wenn es einer Sentenz bedürfte, die das genuine Zusammenleben nach Wiener Fasson beschreibt, es wäre diese. Der Mensch geht hier dem Menschen auf die Nerven, weil es ihn gibt. Das schönste Stück Publizistik im neuen "frame" stellt das Gespräch dar, das Gastro-Darling Sarah Wiener und Gastro-Designer Gregor Eichinger eben über das Essen führen. Das schönste Stück im schönen Stück liest sich so: "Der Darm", so Frau Wiener in bester Aktionismus-Programmatik, "war das erste Stammhirn des Menschen. Die Signale des Darms haben die gleichen Botenstoffe wie die des Gehirns. Es ist nicht so, dass das Hirn zum Darm funkt, sondern der Darm beherrscht das Hirn." Darauf Herr Eichinger: "Es gibt zwei Verbindungen, die dünne kommt vom Hirn runter, und die dicke kommt von unten rauf." Die dünne Verbindung vom Hirn, die dicke vom Darm. Es bleibt dabei: Es sind die Nerven.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Metzger strapaziert die Nerven
Salome Pockerl | 04.06.2007 06:04 | antworten
Eine Suada miteinem einzigen Sinn: Reklame für ein dickes Heft mit einem alten Artikel von R.M. zu machen. Wozu verbreitet der Schreiber aus dem Lexikon angelesenes Wissen - was will er uns mitteilen? Ausser, dass auch Sarah Wiener in dem Heft vorkommmt? Überflüssig.

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