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Der Zeichner als Poet

Schwarz ist der Tag, Täglich sehe ich Schwarz Schwarz ist der Tod. Schwarz ist auch dunkel der Tag. Schwarz ist auch dumm. Schwarz ist der Farbe helles Gold Schwarz ist auch dunkel. Das ist eines der wundersamen Gedichte von Ernst Herbeck, genannt Alexander. Er ist 1991, 70jährig gestorben. Er war einer der ganz Großen unter den Gugginger Künstlern. Bewundert von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker. Oswald Tschirtner ist am Sonntag, den 20. Mai 2007 gestorben, nur 4 Tage vor seinem 87. Geburtstag. Beide waren Poeten. Der eine schrieb Gedichte, der andere zeichnete Menschen. Zu einem Gedichtband von Alexander beispielsweise zeichnete Oswald Tschirtner seine langen dünnen Menschenfiguren. Kopffüßler nennen das die Fachleute, aber Tschirtner entzieht sich den kunsthistorischen Fachausdrücken. Er war kein Künstler, sondern wurde zum Künstler. Entdeckt von Leo Navratil und betreut von Johann Feilacher, war er einzigartig und seine Kunst ohne Beispiel. Oswald Tschirtner wurde am 24. Mai 1920 geboren, er war ein guter Schüler, studierte sogar ein paar Semester Chemie, musste aber, wie alle seine Altergenossen in den Krieg ziehen. Er kam in Gefangenschaft und, wie so mancher seiner sensibleren Kameraden, hielt er das alles nicht aus. Eine schwere Schizophrenie brach aus und von 1947 an war Tschirtner hospitalisiert. Als er 1954 in die Landesnervenklinik Gugging kam, fand er in Leo Navratil einen Psychiater, der seine Patienten nicht nur medizinisch betreute, sondern der ihre Begabung zu entdecken wusste, unterstützt von Künstlern, wie Arnulf Rainer und Peter Pongratz, und mit Hilfe von Monsignore Otto Mauer und seiner Galerie St.Stephan. Das Phänomen Gugging entstand, mit August Walla, Johann Hauser, Ernst Herbeck und Oswald Tschirtner. Und Tschirtner selbst fand zu seiner ganz eigenartigen, poetischen, minimalistischen, melancholischen, aber auch humorvollen Formensprache. Zu seinen langen Menschenfiguren, die er still aber unermüdlich in kleinen Blättern und großen Wandgemälden zeichnete. Feder und Tusche, Bleistift, gelegentlich ein bisschen Farbe, mehr brauchte er nicht. Und es genügte ein langer Strich und es war eine "Landschaft", ein Stuhl mit vier Strichen bedeutete "Ruhe" und ein paar Köpfe waren eine "Menge". Wenn seine langgezogenen Figuren sich nur ein wenig berührten, war es schon ein Händedruck. Hauptsächlich zeichnete Tschirtner postkartengroße Bilder, manchmal auch ein bisschen größer, für die Fassade vom "Haus der Künstler" und für das neue Museum in Gugging zeichnete er sogar wandfüllende Figuren. Aber seiner Persönlichkeit entsprach das Kleine mehr als das Große, Er war einer der ganz Stillen in Gugging. Er lächelte ein rührend verlegenes Lächeln und wenn man ihn fragte, wie es ihm denn ginge, sagte er in letzter Zeit immer öfter, ich bin müde. Seine Figuren mit den überlangen Gliedmaßen und den kleinen Köpfen sind inzwischen in allen Sammlungen und Museen der Welt, in denen es ein Department für Art Brut gibt zu sehen. Seine Bilder werden in Ausstellungen gezeigt und in Bücher gedruckt. In einem Buch sind sie vereint, die beiden Poeten aus dem Haus der Künstler, Alexander Herbeck und Oswald Tschirtner. Zwei selbstständige Künstler, deren Wege sich begegneten an einem Ort, an dem ihre Begabung entdeckt und ihre Kunst gefördert wurde, an dem sie trotz ihrer seelischen Verwundungen leben und arbeiten konnten bis zu ihrem friedlichen Tod. Das Wort und das Bild ergänzen sich auf jene besondere Weise, die bei allem Versuch Kunst zu erklären, doch stets ein Geheimnis bleibt.
Mehr Texte von Angelica Bäumer

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