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Kunst und Hasardieren

"Zu zeigen war", so zieht Fredric Jameson in seinem Klassiker "Die kulturelle Logik des Spätkapitalismus" von 1984 das Fazit, "wie die gewaltige neue Expansion des multinationalen Kapitals am Ende gerade die vorkapitalistischen Enklaven durchdringt und kolonialisiert (Natur und Unbewußtes). In der linken Kritik heißt dies immer wieder verkürzt und zu einfach `Kooptation`. Dieser Begriff reicht als theoretische Grundlage nicht aus, um zu verstehen, was wir alle vage empfinden: daß nicht nur lokal begrenzte, alternative Formen gegenkulturellen Widerstands und der Guerilla, sondern auch offene politische Interventionen auf irgendeine Weise heimlich entwaffnet und von einem System absorbiert werden, zu dem sie letztlich auch gerechnet werden müssen, da sie sich eben nicht von ihm distanzieren können." In den Achtzigern lieferten diese Zeilen den diversen Künsten die perfekte Rechtfertigung fürs Andienen an den Mammon. Und Jameson hatte ja so Recht: Im grimmigen Posthistoire bestand von vornherein keine Chance, dem System zu entkommen, denn Gegnerschaft gehörte längst zu den Ingredienzien eines hinreichend komplexen Status Quo. Das linke Bewusstsein war sowieso ruiniert. Fortan lebte es sich ungeniert. Immerhin. Zwanzig Jahre später hat sich die Chose gehörig forciert. Generell lebt die Moderne ja vom Selbstbezug, und mittlerweile hat sich herausgestellt, welches die beiden erfolgreichsten Modelle einer selbstbezüglichen, nicht länger von einer Instanz über den Dingen geleiteten Wirklichkeit sind: Kapitalismus und Darwinismus, und sie kneten vereint an der Figur des Hasardeurs. Es sind diese Hasardeure, an deren Wesen momentan die Welt genesen soll, und an Börsen, in Sportarenen oder im Internet (und bisweilen auch schon auf Kunstmessen) wird vorgeführt, wie schnell das schnelle Geld ist und wie fit man ist im Survival of the Fittest. In einem solchen Milieu zeigt sich das, was einst kulturelle Gegnerschaft hieß, nicht mehr nur als Komplize, sondern als Sturmtruppe. Selbstbezug kann ja auch so etwas wie Autonomie bedeuten, Eigensinnigkeit und Emanzipation. Speziell solche Dimensionen sind es, die in der Gegenwart des knallharten Zuschlagens nicht nur kassiert, sondern eben wiederum kapitalisiert werden. Das Hasardieren braucht das Durcheinander. Wie es aussieht, hat die Kunst genau dafür alles getan. Ihre Eigensinnigkeit passt perfekt zur Destabilisierung, ihr Aufbegehren setzt das Prinzip Normativität ins Unrecht, und wenn die Autoritäten gestürzt sind, geht es ans lustige Usurpieren der brachliegenden Möglichkeiten. Die Kunst mit ihrer Widerständigkeit und Oppositionsmentalität ist nicht, wie Jameson es einst meinte, nur absorbiert worden vom System. Sie ist, so hat sich jetzt herausgestellt, nicht weniger als seine Agentin. Sie ist Agentin für die Avantgarde der Hasardeure. Wer aber möchte noch "Logik" nennen, was hier geschieht?
Mehr Texte von Rainer Metzger

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