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Sog danke zum Schenie

Der Kanon hat einen großen Magen. Als solches hat er spielend verdaut, als man ihm von Wien aus die Eingeweide samt Inhalt entgegenreckte, wähnend, das sei ehrlich und authentisch und provokativ. Doch wie man heute weiß, hat es weniger mit der Originalität seiner Vertreter zu tun als mit der Elastizität des Kunstbegriffs, wenn der Aktionismus etwas gilt. Es spricht ganz entschieden für Günter Brus, dass er das damals schon, offenbar als einziger, zu wissen begann. Das österreichische Gemeinwesen, auf das man es seinerzeit abgesehen hatte, gibt ja weniger den Widerpart als das genaue Spiegelbild dieser spezifischen Form von Über-Die-Stränge-Schlagen ab. Es ist nicht der Respekt vor dem anderen, sondern das Kalkül mit den Reaktionen der Autoritäten, wenn man hierzulande so etwas wie Manieren an den Tag legt. Oder es eben bleiben lässt: Brus war dabei seinerseits alles Zivilgesellschaftliche fremd. Offenbar hat es ihm aber selbst gestunken, und statt zum Scheissen bat Brus das Publikum dann doch zum Schauen. Was auch immer die Obrigkeit damals dazu beitrug - die Kunst und ihre Geschichte werden es Brus jedenfalls ewig danken, dass er es seit 1970 vorzieht, kluge Zeichnungen und pointierte Sentenzen zu liefern und die Körpersäfte dort abzulegen, wo sie hingehören: auf dem Klo. Nun hat Brus den zweiten Teil seiner "Schmähmoiren" herausgebracht, und sie handeln von der wilden Zeit des Piss- und Kack-Kinos. "Das gute alte Wien" ist es nostalgisch überschrieben, und all die Kombattanten treten auf, liebevoll dechiffriert mit Codenamen, die Kosenamen sind: Hermann Schlacht, Otto Sperrmüll und Rodolfo Montenegro aus dem engsten Kreis, der Kritiker Paul Krummundgrad, die Filmer Kurt Meerrettich und Peter Kublaikhan, der Dichter Oswald Wienerwald, der spätere Bürgermeister Helmut Tschik, und über all dem rituellen Gewusel wacht der Monsignore Maulkorb als guter Hirt. Wer nach einer Wien-Beschimpfung nach Art des ebenfalls erwähnten Thomas Bösendorfer lechzt, muss allerdings an sich halten. Brus hat sich seine damals anerzogene Kinderstube auch im Ösi-Bashing bewahrt, die Untergriffe sind rar, und es spricht Bände im Bändchen, dass unter all dem mächtig sich bauschenden Künstlertrara folgende Figuren und Phänomene in Erscheinung treten, um das obligatorische Hintergrundsrauschen anzustimmen: Beamter, Polizist, Funkstreife, Nation, Hausmeister. Der beste Freund von Brus heisst immer noch Felix Austria. "Sog danke zum Schenie" meint der eine Mithäftling zum anderen, als Brus, eingelocht im Gefolge seines "Kunst und Revolution"-Auftritts, allen für eine gute Mahlzeit gut war. Er hatte einem Wärter das Gfrast konterfeit. Brus` Buch legt dezidiert nahe, sich diesem Satz hiermit anzuschließen. Also: Danke, Schenie.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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