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Der Traum, ein Leben

Der Wettbewerb der Berlinale blieb 2007 ohne klaren Favoriten und so ist die Jury-Entscheidung für den chinesischen Spielfilm "Tu ya de hun shi" (Tuyas Ehe) so überraschend wie konsensfähig. Zwar wurden in Umfragen unter Filmkritikern u.a. auch Robert De Niros Beitrag "The Good Shepherd" und das KZ-Drama "Die Fälscher" des Österreichers Stefan Ruzowitzky gehypt, doch bei der Jury unter der Präsidentschaft des Regisseurs und Theoretikers Paul Schrader kam die Geschichte um eine schöne, selbstbewusste junge Mongolin, die sich aus materieller Notwendigkeit von ihrem behinderten Mann scheiden lassen muss, um einen anderen, noch arbeitsfähigen heiraten und mit ihm ihre beiden Kinder großziehen zu können, am besten an. Es ist auch sicher keine völlig unpassende Wahl: Der Film wird sowohl ästhetischen wie politischen Ansprüchen gerecht. Das traf aber auf einem ähnlichen Niveau auch auf mehrere andere Wettbewerbsbeiträge zu, was die Entscheidung für "Tuyas Ehe" letztendlich ein wenig beliebig macht. Das war das Problem: Auf den großen Wurf musste man im Wettbewerb lange warten. Endlich kam er, hieß "Yella" und war Christian Petzolds neuer Film. Auch "Yella", dessen Hauptdarstellerin Nina Hoss für ihre Leistung den Silbernen Bären erhielt, behandelt ein Frauenschicksal zwischen wirtschaftlicher Not und dem Streben nach privatem Glück. Yella will weg aus ihrer Gewaltbeziehung und der Hoffnungslosigkeit einer ostdeutschen Kleinstadt und nimmt einen Job im Westen an. Doch auch dort wird gelogen und betrogen. Es verfolgen sie der Ex und der Hades ihrer Vergangenheit. Diese nur von wenigen Hoffnungsschimmern erhellte Geschichte wird von Anfang an überblendet mit dem Zitat des Kulthorrorfilms "Carnival of Souls" (R: Herk Harvey, USA 1962). Das Ergebnis ist atemberaubend. In "Carnival of Souls" setzt eine junge Frau nach einem Autounfall den Aufbruch in ein neues Leben fort, doch dieses Leben entgleitet ihr, sie erlebt Unheimliches, bis sie am Ende wieder am Unfallort und vor ihrer eigenen Leiche steht. In "Yella" verursacht der Exmann in selbstmörderischer Absicht den Unfall, doch statt der Gestalten des Jenseits begegnet Yella im Westen den Gespenstern der New Economy. Die Anlehnung an das Gespenst "Carnival of Souls" ist in "Yella" weder glatt noch mit eindeutiger Konnotation formuliert und doch wird klar, dass sie eine Parabel auf einen herrschenden Zustand ist. "Yella" als wieder einmal nur von den Kritikern gewürdigtem Höhepunkt eines Festivals kann aber nicht wettmachen, was an anderer Stelle dort zugemutet wurde. Da liefen Filme im Wettbewerb, die politisch sein sollten, aber über Themen wie Apartheid ("Goodbye Bafana") oder vertuschte Sexualmorde an Arbeiterinnen in Mexiko ("Bordertown") nur konventionellen Erzählkitsch gestülpt boten. Unfassbar war die Programmierung, wenn auch außer Konkurrenz, des faschistoiden, kriegshetzerischen Machwerks "300" im Rahmen des Wettbewerbs. Die amerikanische Verfilmung eines Comics von Frank Miller über die Schlacht bei den Thermopylen, 480 vor der Zeitrechnung, lässt sich überhaupt nicht außerhalb des "Kriegs gegen den Terror" wahrnehmen. Blauäugig gab sich der Hauptdarsteller beim anschließenden Pressetermin überzeugt, das sei doch bloß Unterhaltung. Wesentlich besser machte sich der ebenfalls außer Konkurrenz gezeigte "Letters From Iwo Jima", Clint Eastwoods zweiter Film über die blutigste Schlacht des 2. Weltkriegs im Pazifik, der als Fortsetzung von "Flags of Our Fathers" die Ereignisse aus japanischer Sicht zeigt: Kein neuer Beitrag zum Genre (Anti-)Kriegsfilm, aber ein mutiges Projekt, den eigenen Landsleuten die Sicht des ehemaligen Feindes vorzusetzen. Sehr achtbar ist auch der österreichische Beitrag, Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher", ausgefallen. Der Film über den jüdischen Fälscherkönig Salomon Sorowitsch und seine Kollegen, die im KZ gezwungen wurden, Pfund und Dollars zu fälschen, überzeugte und wurde sogar als Anwärter auf den Goldenen Bären gehandelt. Herausragend war ebenfalls der israelische Beitrag "Beaufort", der das quälende Warten von israelischen Soldaten auf den endgültigen Abzug aus einem Vorposten im Libanon, der ehemaligen Kreuzfahrerfestung Beaufort, beschreibt. Der Jury war "Beaufort" einen Silbernen Bären für die beste Regie an Joseph Cedar wert. Da sie weder von Flüchtlingen noch von Folteropfern handeln, standen Wettbewerbsbeiträge wie "Ne touchez pas la hache" von Jacques Rivette oder "Angel" von François Ozon von vorn herein auf verlorenem Terrain. Diese beiden französischen Beiträge schwelgten in Literatur und Kostümen. Rivette verfilmte eine Balzac-Novelle, Ozon hielt sich an einen Roman der britischen Autorin Elizabeth Taylor. Rivettes "Ne touchez pas la hache" handelt von verzögertem Begehren, das auf seine Erfüllung lieber endgültig verzichtet, als den Zustand des Unvollendeten preiszugeben. In "Angel" arbeitet Ozon weiter am unvollendeten Projekt seiner Dekonstruktion des bürgerlichen Liebesideals, diesmal am Beispiel einer schwärmerischen Romanautorin, die zugleich als Heldin die Abenteuer ihrer Bücher lebt. Das implizit Politische dieser Filme liegt nicht sofort auf der Hand. Doch gerade das macht ihre Qualität erst aus.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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