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Leo Navratil 1921 - 2006

Leo Navratil war Nervenarzt und Psychiater aber mit ungewöhnlicher Beobachtungsgabe und dem Mut neue Wege zu gehen, indem er die psychopathologischen Kranken nicht medikamentös ruhig stellte und sich selbst überließ, sondern indem er ihre inneren Kräfte und Begabungen zu entdecken und zu fördern verstand. So hat er über seinen eigentlichen Beruf hinaus Kunstgeschichte geschrieben. Zu Testzwecken liess er in den 1960er Jahren seine Patienten in der Landesnervenklinik Gugging zeichnen, und erkannte bei einigen von ihnen, dass sich hier nicht ein Kranker äußert, sondern ein Künstler. Unterstützt von jungen Künstlerfreunden aus Wien, Arnulf Rainer, Peter Pongratz, Franz Ringel, gefördert durch Monsignore Otto Mauer und präsentiert in Ausstellungen in der Galerie Nächst St. Stephan, wuchs in Gugging eine Künstlergruppe heran, die zwar künstlerisch nichts gemeinsam hat, jeder Künstler arbeitet völlig auf sich allein gestellt und autonom, die aber durch ihre Krankheit und ihre Abgeschiedenheit im "Haus der Künstler" (das erst seit 1986 so heisst) doch verbunden sind. In zahllosen Ausstellungen im In- und Ausland und in vielen Museen und Privatsammlungen werden ihre Werke gezeigt und gesammelt.

Leo Navratil war nicht der Erste, der die Begabung von "Geisteskranken" erkannte: Walter Morgenthaler in der Schweiz förderte seinen Patienten Adolf Wölfli und Hans Prinzhorn in Heidelberg legte eine umfangreiche Sammlung von Kunstwerken geistig kranker Menschen an. Aber entscheidend für die Entdeckung der Kunst geistig behinderter Menschen ist der Franzose Jean Dubuffet, der seine Begeisterung für diese Kunst der Außenseiter mit der Bezeichnung "Art Brut" ausdrückte, die "rohe" Kunst, sie sei "wie ein ungeschliffener Diamant", und der ihr in der zeitgenössischen Kunst einen eigenen Platz zubilligte. Längst ist weltweit "Art Brut" ein wesentlicher Bestand der Kunstszene, wird nicht nur international ausgestellt und gehandelt, sondern erfährt stetig neue Anerkennung. Auch in Österreich hat sich neben dem weltberühmten "Haus der Künstler" eine Reihe anderer Ateliers und Werkstätten für Behinderte mit bemerkenswerten Ergebnissen etabliert, die ohne Leo Navratils Pionierarbeit nie entstanden wären.

Leo Navratil ist 1946 nach Gugging gekommen, als, trotz der gerade überstandenen Euthanasie durch die Nationalsozialisten, noch nicht an eine individuelle Behandlung oder gar Förderung der Patienten zu denken war. Erst durch ihn fand ein Umdenken in der Betreuung und im Umgang mit den Kranken statt: "Ich betrachte das als großes Glück und bin dankbar dafür, wo sonst hätte ich Zeichner wie Johann Hauser oder Oswald Tschirtner, Dichter wie Ernst Herbeck oder den vielseitigen August Walla entdecken können" schreibt Navratil.

Seit 1986 ist der ehemalige Mitarbeiter Navratils, Johann Feilacher, Leiter des "Hauses der Künstler". Ihm und dem Land Niederösterreich ist es zu danken, dass im Sommer 2006 das Museum Gugging eröffnet werden konnte. Ein strahlender Leo Navratil war dabei, stolz und glücklich - sein Lebenswerk wird weiter getragen.

Mehr Texte von Angelica Bäumer

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