
Peter Kunitzky,
Hans Bellmer - Ingenieur des Eros: Der Puppenspieler
Sie ist also wirklich da, die Puppe. Nicht irgendeine Puppe, sondern die Puppe schlechthin, die neben Kokoschkas Alma Mahler-Double wohl berühmteste, nein eher berüchtigtste Puppe der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts diesmal nicht - wie üblich - als photographisches Simulakrum, sondern als ganz leibhaftiges, ganz gegenwärtiges Original. Das ist gleich das erste Wunder dieser an Überraschungen so gar nicht armen Schau, dass diese 1935 konstruierte und im Vergleich zu seinem zwei Jahre älteren Vorgängermodell wesentlich elaboriertere Andreide - mit hautähnlicher Textur und einem zentralen Kugelgelenk, um das beliebige Körperpartien zu kreisen vermögen - die Zeiten tatsächlich überdauert hat (bekanntlich sehr im Gegensatz zur falschen "Alma") und uns hier in all ihrer süßen, wiewohl kalten Pracht realiter gegenübertritt: also mit ihrer schutzlosen, aufreizenden Nacktheit (die lolitahaften weißen Söckchen und Lackschühchen unterstreichen dieses skandalöse Faktum nur umso mehr) Verfügbarkeit suggerierend, aber dabei doch letztlich immer unnahbar, unerreichbar die Erfüllung verweigernd. Diese der Puppe inhärente Ambivalenz von Verlockung und Distanzierung, von Ermächtigung und Entmächtigung findet sich dann freilich auch in den photographischen Inszenierungen, für die der Name Hans Bellmers vorwiegend steht, geheimnisvolle, dunkel glühende, den Voyeurismus herausfordernde Inszenierungen voll latenter Gewalt, in denen der große Erotomane den weiblichen Körper ganz nach Gefallen de- und rekonstruiert und damit das strömende Verlangen des (männlichen) Betrachters im Kreise gehen lässt und mithin perpetuiert.
Dass das die libertinen Versuchsanordnungen Bellmers anfeuernde Begehren sich aber nicht nur in der Photographie und in der die Abstrahierung des Körpers weiter vorantreibenden Skulptur ("Die Puppe (Rumpf)" von 1935, "Der Kreisel" von 1938) Bahn brach, sondern sich vor allem im intimen Medium der Zeichnung materialisierte, an eine solche fahrlässig unausgewogene Rezeptionsgeschichte also gemahnt die akklamierenswerte Ausstellung mit aller Vehemenz. Denn Bellmer leistete auf dem Gebiet der (Bleistift-)Zeichnung Meisterliches, sei es in den frühen Arbeiten, in denen die fließenden Metamorphosen des mädchen- oder puppenhaft Weiblichen mit großer Präzision eingefangen und strengen geometrischen Strukturen kontrastiert werden, sei es in den reiferen Arbeiten nach 1945, in denen der schon zuvor vorhandene konstruktive Zug allmählich überhandzunehmen und sich den Körpern gänzlich einzuschreiben beginnt, stets jedenfalls bewahren die phantasmagorischen, von der Obsession des mitunter drastisch Sexuellen beherrschten Szenen ihr Geheimnis und verweigern sich der intellektuellen Aufschließung. Dass das sowohl für die Moral als auch für die Vernunft ein Skandalon darstellt, könnte vielleicht auch mit als Grund dafür angesehen werden, warum 40 Jahre vergehen mussten, um Hans Bellmer erneut eine Retrospektive in seiner Heimat Deutschland auszurichten. In Frankreich, das für die Liederlichkeit schon immer viel Sinn hatte und wohin sich Bellmer auch dazumals vor den die "artige" Kunst bevorzugenden braunen Horden zu flüchten wusste, lieben sie ihn dagegen.
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Hans Bellmer - Ingenieur des Eros
28.06 - 28.08.2006
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