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Von Mäusen und Menschen - 4. berlin biennale für zeitgenössische Kunst: Verendung

Diesmal ist man aufs Ganze gegangen. Hat alles riskiert. Und gewonnen. Denn diesmal hat man sich nicht, wie bei den Biennalen zuvor, damit begnügt, konzentrische Kreise um sich selbst zu ziehen, also mit einiger Eigenliebe den Kunststandort Berlin zu vermessen und seine nachgerade mythische Subkultur zu preisen; oder, wie vor zwei Jahren geschehen, allenfalls noch - unter Aufbietung einer schier erdrückenden Masse an Theorie - die soziokulturellen Verzweigungen der lokalen Kunst- und Wissensproduktion zu beleuchten. Nein, diesmal hat man das gesicherte Terrain verlassen, die elaborierten Konzepte und Schutz versprechenden Institutionen (mit Ausnahme der Kunst-Werke) aufgegeben und den Sprung gewagt - mitten hinein in die Stadt, mitten hinein ins Leben. Also mitten hinein in die Auguststraße, Berlins prominente Galerienmeile, entlang deren das bewährte Dreigespann Maurizio Cattelan, Massimiliano Gioni und Ali Subotnick (u.a. betreibt man seit 2002 die nunmehr in der Londoner Tate untergebrachte "Wrong Gallery") die mittlerweile vierte Ausgabe der "berlin biennale" inszeniert hat. Und es ist tatsächlich eine beeindruckende Inszenierung geworden, eine Inszenierung großartiger sowohl öffentlicher wie privater Räume prachtvoller Verfallenheit - darunter neben Künstlerwohnungen bzw. -ateliers ein aufgelassener Pferdestall, ein verschlissener Ballsaal oder eine verwaiste jüdische Mädchenschule - und der darein sich fügenden, darin beinahe aufgehenden Kunst: denn wie immer, wenn die Kunst aufs Leben trifft, muss die Kunst sich erst behaupten. Aber in diesem Fall widerstreiten die Kräfte einander nicht, sondern schießen eher zusammen, weil auch die Kunst hier nämlich nichts anderes möchte als von einem Verfall zeugen. Es ist, wenn man so will, der Verfall der Geschichte und des Humanen, und im Spiegel der versammelten Werke ersteht folglich eine Welt, die von diesen Verlusten merklich gezeichnet ist. Eine Welt, der jegliche Gewissheit und Geborgenheit (sehr wirkungsvoll zur Anschauung gebracht in Paul McCarthys "Bang-Bang Room") abhanden gekommen und die zu einem dunklen, rätselhaften, verstörenden Ort geworden ist (Anri Salas Video "time after time", in dem ein auf der Autobahn ausgesetztes Pferd dort wie paralysiert verharrt), voller Unbehagen, Bedrohung und Tod (Bruce Conners hypnotischer Atombomben-Film "Crossroads"). Und wo der in die ungewollte Existenz geworfene Mensch diesem von den Kuratoren überaus stimmig und präzise arrangierten Theater des Schreckens und der Grausamkeit nicht mit Gleichmut begegnet (in Reynold Reynolds Video "Burn" nehmen die Bewohner eines Hauses das sie bedrohende Feuer kaum zur Kenntnis), ergeht er sich stattdessen in blinder Gewalt (Bruce Naumans "Rats and Bats"), Obsessionen (Christopher Knowles Schreibexerzitien) oder Perversionen (Nathalie Djurbergs verspielter Trickfilm "Tiger licking girl`s butt"). Die aktuelle Biennale sollte mithin durchaus als Sinnbild verstanden werden: Symbol einer Zeit großer Verunsicherung und Desorientierung. In dem sogar die heute immer lauter vernehmbaren religiösen Obertöne nicht fehlen, umfasst doch der Ausstellungsparcours - mit einer Kirche als Auftakt (mit Kris Martins wunderbar erratischer Installation "Mandi III") und einem Friedhof als Ausklang - ausgerechnet zwölf Stationen. Aber bei dieser Passion ist wohl keine Erlösung zu erwarten.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Von Mäusen und Menschen - 4. berlin biennale für zeitgenössische Kunst
25.03 - 05.06.2006

Berlin Biennale
Berlin,
http://www.berlinbiennale.de


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