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Ernst, aber nicht hoffnungslos

Am vergangenen Donnerstag eröffnete die Neue Nationalgalerie in Berlin die Großausstellung "Melancholie". Am vergangenen Samstag vergab die Jury der 56. Berlinale die diesjährigen Bären zum Teil an Filme, denen man ein solches Potenzial nicht zugetraut hätte. Was diese Ereignisse gemeinsam haben: Bei beiden geht es um eine gewisse Haltung der Kunst gegenüber. Zeigt die Ausstellung, die nach dem Pariser Grand Palais ihre zweite Station im Berliner Gropius-Bau hat und von Kritikern in den höchsten Tönen gelobt wird (siehe u.a. die artmagazine-Kritik), eine Kunstgeschichte der Melancholie als Kulturgeschichte der Vereinzelung und der Begegnung des Individuums mit seinem diffizilen Innenleben, so lassen die Entscheidungen der Berlinale-Jury so ziemlich die entgegen gesetzte Tendenz erkennen: Die mit den Hauptpreisen prämierten Filme wurden offensichtlich nicht aus künstlerischen Gründen ausgewählt, sondern weil sie politisch sind und einen Weg aus der Agonie gegenwärtiger Zustände weisen. Und das sind die Sieger: Den Goldenen Bären gewann der Film "Grbavica", das Spielfilmdebüt der Bosnierin Jasmila Zbanic, die Geschichte einer Frau, die mit den Folgen des Krieges leben muss und nicht weiß, wie sie ihrer 12-jährigen Tochter sagen soll, dass ihr Vater kein Kriegsheld, sondern ein Vergewaltiger war. Der Silberne Bär ging ex aequo an "En Soap", ebenfalls ein Spielfilmdebüt, der Dänin Pernille Fischer Christensen um die zarte Annäherung einer bindungsggeschädigten Mittdreißigerin und eines jungen Transsexuellen und an die iranische Tragikomödie "Offside" von Jafar Panahi, in der es um die Frage geht, warum weibliche Fußballfans in Teheran nicht mit den Männern ins Stadion dürfen. Den silbernen Bären für die beste Regie erhielten Michael Winterbottom und Mat Whitecross für die TV-Spieldoku "The Road To Guantanamo" über drei pakistanischstämmige junge Engländer, die durch Naivität und Pech im amerikanischen Gefangenenlager Guantanomo landeten und dort ohne Verfahren zwei Jahre lang festgehalten wurden, bis sie nach Intervention der britischen Regierung freigelassen wurden. Hans-Christian Schmids künstlerisch herausragender Spielfilm "Requiem" wurde über den Preis für die beste Darstellerin an Sandra Hüller wenigstens indirekt geehrt, dasselbe passierte mit "Der freie Wille" von Matthias Glasner mit einem Silbernen Bären für eine künstlerische Leistung an Hauptdarsteller Jürgen Vogel. Der von der Kritik viel geliebte erste Langfilm "Sehnsucht" von Valeska Grisebach ging aber ganz leer aus, was sehr, sehr schade ist. Nicht zu unrecht wirft die Kritik die Frage in den Raum, ob es tatsächlich die Aufgabe der Berlinale sei, sich in der Vergabe der Preise durchwegs zum Sprachrohr der Political Correctness zu machen oder ob nicht das wichtigste Kriterium doch die Kunst sein sollte. Ganz am Rande bemerkt man wohl, auch wegen der unmittelbaren Nachbarschaft von Neuer Nationalgalerie und Berlinale-Palast, dass die besten Filme des Wettbewerbs ausgezeichnet ins begleitende Filmprogramm der "Melancholie"-Ausstellung passen würden: "Requiem", "Der freie Wille" und "Sehnsucht" sind drei sehr intensive Filme und ihre ProtagonistInnen ganz und gar in die Düsternisse des Innen verstrickt. Es ist schon was dran an Jean Clairs These, dass die "schwarze Galle" den besten Stoff für die Kunst abgibt. Doch die war bei der Jury nicht gefragt. www.berlinale.de
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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