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Über Titel und andere zwielichtige Figuren

Mit der Übersetzung von poetischen Filmtiteln aus Fremdsprachen ist das so eine Sache. "De battre mon coeur s´est arrêté" ist offenbar zum Kandidaten für Übersetzungsblüten prädestiniert. Im Wettbewerb der letzten Berlinale lief er noch unter "Der Schlag, der mein Herz verspielte". Für das österreichische Publikum taufte man ihn um. "Der wilde Schlag meines Herzens" heißt er nun auf der Viennale und ab 11.11. auch im Kino. Was der übersetzte Titel also nicht so recht verspricht, das hält dann doch der Film. Es geht um einen jungen Mann aus der, nun ja, "Immobilienbranche": Leute verprügeln, Lichtleitungen lahm legen - diese Schiene, der zu einer alten Liebe zurückkehren will: der Musik. Er möchte Konzertpianist werden und übt und übt, was einerseits seine "Geschäftspartner" gehörig nervt. Andererseits könnte die ständige Verletzungsgefahr seine hochfliegenden Pläne jederzeit für immer beenden. Regisseur Jacques Audiard erzählt die Großstadtgeschichte um das Nebeneinander von ganz disparaten Eigenschaften in einer Person - Träume und Banalität, Sensibilität und Gewaltbereitschaft - subtil und ohne in Klischees zu verfallen. Das Ende ist wirklich nicht vorhersehbar. Mit im Programm der Viennale laufen auch ältere Produktionen wie Milton Moses Ginsbergs (abgesehen von Mode und Ästhetik) ungeheuer modern wirkender, experimenteller Spielfilm "Coming Apart" aus dem Jahr 1969. Zwei Stunden lang ist nichts als ein Teil des Behandlungszimmers des Psychiaters Joe (Rip Torn) zu sehen, gefilmt (angeblich) durch eine versteckte Kamera, die das Geschehen in diesem Raum als Reflexion in einem großen Spiegel abbildet. Und was passiert, ist genau, was der Titel besagt: Zuerst sind es die Patientinnen, die vor dem angeblichen Helfer auseinander und in seine Arme fallen. Doch je weiter wir in Joes System aus psychischem und sexuellem Missbrauch und Grausamkeit eingelassen werden, desto klarer wird, dass Joe es ist, der den eigenen Zerfall filmt, um wenigstens irgendetwas festzuhalten. Das Highlight der vergangenen Tage war der neue Film von Lars von Trier. In "Manderlay" (Kinostart: 16.12.) erzählt er die Geschichte von Grace, seiner Hauptfigur aus "Dogville", weiter. Manderlay ist eine Plantage im amerikanischen Süden, an der der Gangstertross auf dem Heimweg vorbei kommt, nicht ohne dass Grace, diesmal nicht mehr von Nicole Kidman dargestellt, sondern von der jungen Bryce Dallas Howard, der Versuchung widerstehen könnte, "Gutes" zu tun. Wieder abstrahiert Lars von Trier die Sets: Wie aus "Dogville" schon bekannt, agieren die Darsteller auf einer Art "Spielbrett", auf dem Gebäude, Gegenstände usw. nur markiert bzw. aufgeschrieben sind. Diesmal geht es um Sklaverei, um die Utopie von Demokratie in einem Land, das Menschen in verschiedene Klassen einteilt und um die Utopie der Selbstverwaltung der vordem Ausgebeuteten in einem zum Gemeinschaftseigentum gemachten, gemeinsamen Betrieb. Auch wenn "Dogville" wuchtiger in der Aussage und klarer (und brutaler) in deren Vermittlung war, ist "Manderlay" doch ein neues mutiges Meisterwerk vom derzeit innovativsten Filmemacher westlicher Provenienz.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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