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Francisco de Goya: Disparat modern

Man will ja seine Besprechungen von Ausstellungen des Kunsthistorischen Museums nicht jedes Mal gleich mit Gejammer beginnen, aber es sollte schon gesagt werden, dass die Räumlichkeit, in der dort Wechselausstellungen stattfinden, sich nicht besonders dafür eignet. Wieder einmal hat man zu viele Bilder in den bedrückenden Saal VIII gepfercht und selbst bei wenig Publikum fehlt es an Sicht und auch an Luft. Diesmal sind es also die Werke von Francisco de Goya, die sich gegen die drohende Klaustrophobie behaupten müssen. Natürlich gelingt es ihnen, keine Frage. Vor allem Ölgemälde sind ausgestellt, aber auch -skizzen, Zeichnungen und Tapisserien. Von der für Goyas Werk so immens wichtigen Druckgraphik ist wenig vorhanden, aber die gab es ja schon in der Ausstellung im Leopold Museum letztes Jahr, die nur die graphischen Zyklen zeigte. Es sind nicht mehrheitlich diejenigen Bilder versammelt, die in Ringvorlesungen der Kunstgeschichte als seine wichtigsten bezeichnet werden. Aber warum soll es immer das Vorhersehbare sein? Und so freut man sich über das nur scheinbar einträchtige Nebeneinander von verschiedenen Stilen im Werk eines einzigen Künstlers. Spätbarock, Klassizismus, Romantik und Realismus heißen sie und spiegeln durch ihr unhierarchisches Versammeltsein das Disparate einer Zeit des Umbruchs vom ancien régime zum bürgerlichen, industriellen Zeitalter wider. Von der Aufklärung tief angekränkelt, misstraute Goya jedem doktrinären Denken und suchte im Sinn der Romantik zugleich nach einem jenseits von Glauben und Wissen angesiedelten surplus. Sein Thema war der Mensch und die condition humaine. Sehr realistische, teils sogar entlarvend schonungslose Porträts, mit denen er beim Adel und als Hofmaler reüssierte, bilden bekanntlich die repräsentative Oberfläche seiner Auseinandersetzung mit dem Menschlichen. Doch erst wirklich interessant wird es bei Goyas zahlreichen überindividuellen Darstellungen von dessen Facetten, die hundert Jahre vor Freud eine wirklich erstaunliche psychologische Tiefe haben. In seinen Darstellungen von Namenlosen mischen sich tiefes Mitleid für die Opfer mit der realistischen Erkenntnis, dass Opfer und Täter austauschbar, dass Dummheit, Willkür und Gewalt einfach die Nachtseiten des Menschlichen sind. Es sind diese Erkenntnis und sein leidenschaftliches Engagement für die Vernunft, die Goya heute so modern erscheinen lassen. Man möchte hinzufügen: In unserer disparaten, post-postmodernen Welt mehr als je zuvor.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Francisco de Goya
18.10.2005 - 29.01.2006

Kunsthistorisches Museum
1010 Wien, Burgring 5
Tel: +43 1 525 24 0
Email: info@khm.at
http://www.khm.at
Öffnungszeiten: Di-So 9.00-18.00


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