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Fake und/oder Doku

"Die nachgestellten Spielszenen des folgenden Programms entstanden mit Hilfe von CGI-Technik, die die Gesichter der Schauspieler durch Animationen ersetzt". Wer diesen vorab gemachten Hinweis übersehen hat, wird sich beim Ansehen der Spieldokumentation "Hitler und der 20. Juli" möglicherweise ziemlich wundern: wo war dieses noch nie gesehene Filmmaterial bisher versteckt, das Hitlers, Stalins, Churchills und Roosevelts Alltag sozusagen Backstage zeigt, peinliche Situationen nicht ausspart und sämtlich am 20. Juli 1944 entstanden sein soll? Vielleicht ist es aber gar nicht so schwer, die computergenerierten Repräsentationen zu durchschauen. Wer würde wirklich annehmen, dass Adolf Hitler einem Kameramann gestattet hätte ihn als depressiven Hypochonder abzufilmen? Ganz zu schweigen von den auf die Schauspielerköpfe gemappten Gesichtern der vier Staatsmänner, die sich durch maskenhafte Leblosigkeit auszeichnen. "Geschichte virtuell - Hitler und der 20. Juli" ist der bisher weitgehendste Versuch, Geschichte filmisch zu rekonstruieren. Die Doku ist das Ergebnis eines mehrjährigen Projekts des international agierenden Privatsenders Discovery Channel, zu dessen Realisierung alles heute technisch Machbare aufgewendet wurde. In der Art der TV-Krimiserie "24", also mit Splitscreen und schnell eingeschnittener Timeline, werden die Ereignisse des 20. Juli 1944, dem Tag des Attentats der Wehrmachtsoffiziere auf Hitler, dargestellt. Parallel zum deutschen Schauplatz sehen wir auch, was sich in den englischen, russischen und amerikanischen Hauptquartieren abspielt: Stalin plant die Polen-Invasion, Churchill erwägt Giftgasangriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung und Roosevelt stirbt fast an einem Herzanfall. Das Fake-Material ist farbig und so bearbeitet, dass es wie verkratzter, alter Film aussieht. Inhaltlich ist es gut gemacht. Zur wissenschaftlichen Unterstützung der Spielszenen sprechen Historiker wie Joachim C. Fest. Kritik richtet sich aber gegen die Praxis, computerbearbeitetes so mit Archiv-Material zu vermischen, dass es nicht mehr zu unterscheiden ist - ein glatter Tabubruch in der Dokumentarfilmbranche. Das Ende der Glaubwürdigkeit sei gekommen. Dass Discovery mit diesem Projekt versucht hat, aus einer Art Vakuum auszubrechen, könnte man dem entgegen halten: "Hitler und Co als Fernsehstars", wie eine einschlägige Tagung in Stuttgart dieses Frühjahr betitelt war, kam zu dem Ergebnis, dass nicht zuletzt in Folge der Inflation, die das Thema gerade in den letzten Jahren erlebte, der durchschnittliche Zuseher um die Sechzig ist. Jüngeres Publikum ist nur noch über die Machart zu bekommen und sieht eigentlich überhaupt viel lieber Spielfilme zum Thema. Was also wiegt schwerer? Dass die Möglichkeit besteht, dass auch junge Leute wieder gerne Zeitgeschichtedokus sehen, weil diese durch eine zeitgemäße Machart ihren visuellen Erfahrungen entgegen kommen? Oder der Vorwurf der Fälschung? Noch ist sie ja erkennbar, aber man darf getrost damit rechnen, dass die Feinheiten noch technisch perfektioniert werden können. Doch eines wird sich nie vermeiden lassen: Die Rekonstrukteure sind von heute und das wird man immer sehen. Freuen wir uns also schon darauf, in einigen Jahren die ästhetische Beigabe der frühen 2000er in den Fakeszenen von "Hitler und der 20. Juli" zu entdecken. So, 17. Juli 2005, 14:00 Uhr, RTL II (Making of) Wissen Extrem: Die Verschwörung - Das Attentat vom 20. Juli, (Virtual History) Dokumentarfilm, 2004, 24 min Mi, 20. Juli 2005 18.45 Uhr, Discovery Channel 20:15 Uhr, RTL II (Deutsche Free-Tv Premiere) Die Verschwörung - Das Attentat vom 20. Juli, (Virtual History) Dokumentarfilm, 2004, Regie David McNab, 92 min www.discovery.de/virtualhistory/_home/index.shtml
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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