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Kulturalismus: Warum er reaktionär ist

Die Saison ist eröffnet. Mit den Ausstellungen ist es bereits losgegangen. Bald fangen die Kunstschulen mit ihrem Lehrbetrieb an. Unermüdlich dazwischen liegen die Magazine und publizieren. Und überall gibt es wieder das Gemisch aus Gender, Ethnizität, Begehren, Körper und was alles sein Wesen treibt an wiedererkennungssatten Wörtern. Gemeinsam ist allen diesen Begriffen, dass sie eine Überlagerung bezeichnen. Dem Gesellschaftlichen wird etwas aufgepfropft, das kulturell codiert ist. Zeit für einige Bemerkungen: Warum dieser Kulturalismus reaktionär ist. 1. Er definiert über Exklusion; Verständnis in seinem Sinn funktioniert über Verkörperung; wer aus welchem Grund auch immer die Performance nicht mitmacht, ist ausgeschlossen. 2. Er hat eine unüberwindbare Vorliebe fürs Marginale; die Aufwertung, die er vollzieht, führt aber nicht zu einer Gleichwertung, sondern in perfektem übers Ziel Hinausschießen wird das ehedem Periphere nun zur Hauptsache; diese seltsame Evaluierung führt zu einer Idee von Gemeinschaft; das einst an den Rand Gedrängte bleibt dem Homogenen und Einheitlichen, das ihm auferlegt war, verfangen. 3. Er betrachtet die Dinge des Status Quo durch die Brille des Kulturellen; einschlägig formuliert: er ästhetisiert Politik; das, so wissen wir von Walter Benjamin, ist die Arbeitsweise des Faschismus. 4. Er favorisiert eine Art von Beteiligtheit und Engagement, bei der deutlich werden soll, dass es die Kunst ist, die sich artikuliert; letztlich wird ein privilegierter Zugang zum Engagement eingefordert, der Züge des Charismatischen trägt; und Charisma sucht Gefolgschaft. 5. Er schwört auf Differenz; währenddessen ergehen sich die Global Players in der Entdifferenzierung der Welt. 6. Er hat eine Phobie vor allem, was natürlich scheinen könnte, und warnt ständig vor der "Naturalisierung"; alles ist für ihn Konstruktion; eine solche Position ist durchaus triftig, doch haben dadurch jene Überzeugungen keine Verankerung mehr, die der Kulturalismus so gerne für sich in Anspruch nähme, nämlich moralische; es gibt keine Ethik, nur noch Pragmatik; Durchsetzbarkeiten treten an die Stelle von Rücksichtnahmen; die letztliche Instanz ist Macht. Es gab eine Zeit, da waren bei aller Konfrontation zumindest die Einteilungen in die einzelnen Lager unumstritten. Sowohl für die Kommunisten als auch für die Liberalen war klar, dass jene weiter links stehen als diese. Diese Diskussionsgrundlage ist nun verschwunden. Heute wirft das eine Lager dem anderen vor, verkappte Rechte zu sein. Es hilft trotzdem nichts: Kulturalismus ist reaktionär.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Und woher kommt er, dieser "Kulturalismus"?
Helga Köcher | 13.09.2004 10:16 | antworten
Danke für diese präzise und umfassende Bestandsaufnahme! Das ist meine Kritik seit Jahren. Mir fehlt im Text allerdings die Aufdeckung der philosophischen Väter dieses "Kulturalismus". Er ist ja nicht vom Himmel gefallen....

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