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Nochmals: Die Rechtschreibung

Nicht, daß Texte wie dieser von der Rechtschreibreform nicht einst profitiert hätten. Vor allem ihr Schreiber hat profitiert. Denn zu den Zeiten, als der Herausgeber des "artmagazine.cc" es sich noch leisten konnte, einen Beitrag Zeichen für Zeichen zu bezahlen, da war der Unterschied zwischen einem "daß" und einem "dass" satte 40 Groschen wert. Heute haben wir den Euro und den Cent. Und der Herausgeber des "artmagazine.cc" hat auf ein Pauschalhonorar umgestellt. Zeit also, auch beim Rechtschreiben umzustellen. Umzustellen auf die herkömmliche Version. Auf die komplizierte, altbackene, konventionelle Version, dank der die Hüter des Geheimwissens und Verwalter der Machttechniken das Volk immer schon in seiner Unterdrückung gehalten hatten. Auf jene Version, die ihre Verächter verdammen, weil es in der Tat von aller Willkür umgeben war, wann welche Groß- und welche Kleinschreibfassungen zu gelten hatten. Und in Zeiten, da wir sowieso unsere Wortschöpfungen aus dem globalisierten Englisch beziehen, braucht das keine Rolle mehr zu spielen. Im Pidgin schreibt sich alles klein. Apropos Demokratisierung: Frau Edelgard Bulmahn, die deutsche Bildungsministerin und die groteskeste politische Figur, die das Land seit fünfzig Jahren hervorgebracht hat, frönt ja jetzt dem Elitären. Sie plant Universitäten ins Leben zu rufen, auf denen die Genialitäten nur so blühen. Und wie will sie die Spitzenköpfe anlocken? Mit einem Slogan. "Brain up" ruft sie werbeagenturgestählt in die wissenschaftliche Welt, und sie glaubt offenbar tatsächlich, auch nur einen, der bis drei zählen kann, mit ihrem PR-Krampf zu erweichen. Doch eines läßt sich daraus lernen: Das ist der Geist, aus dem Rechtschreibreformen entstehen. Seit ich denken kann, gab es eine Diskussion über die Schwierigkeiten der Orthografie. Daß "Rhythmus" gleich um drei Buchstaben länger und entsprechend um Längen schwieriger ist als das italienische "ritmo", galt immer als das Paradebeispiel für die Abstrusitäten des deutschen Schreibens. Doch ein Blick auf die andere Rheinseite stimmte dann wieder versöhnlich: Im Französischen läßt sich ein Wort, das mit einem Laut auf "o" endet, auf mindestens fünferlei Weise buchstabieren: Es kann mit "-o" aufhören wie "métro"; mit "-os" wie "gros"; mit "-ot" wie "mot"; mit "-eau" wie "beau"; oder mit "-eaux" wie "Bordeaux". Und das ist wirklich nur ein Beispiel. Als es noch irgendwie angezeigt war, frankophil zu sein, konnte man derlei nicht nur akzeptieren, sondern es als Eigenheit einer Sprache und der damit verbundenen Identität verbuchen. Die Rechtschreibreform entspricht einer Zeit, in der es keine Frankophilie mehr gibt. Und auch keine Präferenzen für andere Sprachen mehr. Geschweige denn für die eigene. Womöglich ist das ein Fortschritt. Daß sich mit dem globalisierten Englisch, das all das ersetzt hat, weniger Machttechnik verbindet, wollen wir allerdings heftig bezweifeln.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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