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Now You See Us. Women Artists in Britain 1520–1920 : Pionierinnen auf der Insel

Seit Jahren wird vielerorts fleißig in den Depots der Museen geschaut, um mit weiblichen Namen signierte Werke wieder hervorzuholen. Daraus ergab sich 2019 beispielsweise die Schau „Kampf um Sichtbarkeit“ in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Malerinnen um 1900 wie Paula Modersohn-Becker oder Maria Slavona rücken verstärkt in den öffentlichen Diskurs; stets mit Anmerkung, wie schwer es für Frauen war, im Männer-dominierten Kunstbetrieb Anerkennung zu finden. Dies führt leicht zur Annahme, dass es vor ihnen keine nennenswerten Künstlerinnen gab, schon gar keine professionelle, die mit ihren Werken Geld verdienten und für die ihre künstlerische Tätigkeit zugleich ein Geschäft war.

Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck zeigt seit Februar „Maestras. Malerinnen 1500–1900“ und stellt Künstlerinnen aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien, Holland, Russland, Finnland und England vor. (⤇ siehe die artmagazine Kritik) Die Ausstellung beweist, wie aktiv Frauen in ganz Europa waren. Die Briten sind zum Thema Künstlerinnen in vergangenen Jahrhunderten ebenfalls auf Spurensuche gegangen. Ihre Funde sind nun in der renommierten Tate Britain in der Ausstellung „Now You See Us“ zu erkunden. Es ist kein besonders origineller Titel, erinnert aber an „Ich sehe mich“, einen Ausstellungstitel im Vorarlberger Angelika Kauffmann Museum 2017. Der Untertitel gibt hier mehr Aufschluss: „Women Artists in Britain 1520-1920“ und der Blick bleibt auch fest auf die Insel gerichtet. Internationale Künstlerinnen wie Angelika Kauffmann, Mary Moser und Artemisia Gentileschi treten nur insofern in Erscheinung, als dass sie ebenfalls in Großbritannien Portraitaufträge ausführten.

Die Schau beeindruckt allerdings mit ihrer Tiefe und ihrem Umfang. Mehr als 100 Künstlerinnen sind hier vereint und ihre mehr als 200 Werke illustrieren elf Themenräume. Die Kuratorin Tabitha Barber legte bei der Auswahl Wert darauf, dass es professionelle Künstlerinnen waren. Aber wie definiert sich das? Durch Bezahlung? Während Mary Black (1737-1814) dafür verhöhnt und beleidigt wurde, auch nur den halben Preis für ihre Arbeit zu verlangen, den der gestandene Maler Joshua Reynolds eingefordert hätte, war es für Angelika Kauffmann selbstverständlich, eine ‚männliche’ Summe in Rechnung zu stellen. Oder definiert sich ihr Status als professionelle Kunstschaffende, dadurch dass sie öffentlich ausstellten? Eine Recherche brachte zutage, dass in den Jahren zwischen 1760 und 1830 etwa 900 Frauen in öffentlichen Ausstellungen vertreten waren.

Die Stärke der Ausstellung liegt in der Einbettung der Malerinnen und Grafikerinnen in den gesellschaftlichen Kontext ihrer Zeit und dem Hervorheben, wo sie Pionierarbeit geleistet haben oder wo sie die rare Gunst hatten, von ihrem (männlichen) Umfeld in ihren künstlerischen Bestrebungen unterstützt zu werden, zumal ihre außerordentliche Begabung sich oft schon im Kindesalter zeigte. Nennenswert ist Mary Beale (1633-1699). Die Malerei war ein Familienunternehmen: Ihr Mann kümmerte sich um das Atelier, besorgte die Leinwände und mischte sogar die Farben für seine Frau. Ihre Söhne assistierten im Atelier. Portraits konnten in fünf Größen in Auftrag gegeben werden. Ihr Mann dokumentierte alles akribisch und hinterließ damit einen wertvollen Schatz. Das partnerschaftliche, fast gleichberechtigte Verhältnis der Beales ist ebenfalls ein Faszinosum für die Zeit. Beale gilt als erste professionelle Malerin Englands. Zu ihrer Zeit waren Frauen fürs Heim zuständig; es schickte sich nicht, ein Leben in der Öffentlichkeit zu führen.

1760 fand in London die erste öffentliche Kunstausstellung statt. Bald darauf wurde die Royal Academy of Art gegründet – recht spät im europäischen Vergleich: Die Akademie der bildenden Künste Wien hatte bereits 1692 ihre Tore geöffnet und die Preußische Akademie der Künste folgte 1696. Als 1768 die Royal Academy ins Leben gerufen wurde, war Angelika Kauffmann in England und ein Star. Sie und Mary Moser wurden als einzige Frauen aufgenommen, mit eingeschränkten Rechten versteht sich. Es dauerte mehr als 150 Jahre bis eine weitere Frau zugelassen wurde: Laura Knight im Jahre 1936.

Kauffmann half auch Maria Cosway (1760–1838), ihre Werke in den Ausstellungen der Royal Academy zu zeigen. Cosway wurde in Italien geboren, wo sie, wie Kauffmann, eine künstlerische Ausbildung erhielt. Ihr Vater war Engländer und als er starb, zog ihre italienische Mutter mit ihren Kindern nach England. Cosway fällt hier auf durch ihr großformatiges Portrait „Georgiana, Duchess of Devonshire (1757-1806) als Cynthia”, die Mondgöttin aus Edmund Spensers Gedicht „Faerie Queene”. Es ist nicht nur die Größe, die Betrachter:innen anzieht, sondern auch das leuchtende Blau und eine Frau, die Macht und gleichzeitig Zartheit ausstrahlt. Das Bild ist insofern relevant als Frauen damals abgesprochen wurde, kreativ sein zu können und sie nur gut im Kopieren wären, was naturgetreuen Portraitdarstellungen ja entspräche. In den ersten Räumen dominieren demzufolge Portraits. Die Gemälde von Kauffmann fallen dort aus der Reihe, da sie Allegorien und Motive aus der antiken Mythologie abbilden, Historienbilder sozusagen, die ihr unter den Männern Respekt einbrachten. Übrigens war es für eine Frau schon eine Leistung, in einer Ausstellung vertreten zu sein und eine Adresse im Katalog anzugeben war ein Hinweis, geschäftlich tätig zu sein.

Bereits 1770 wurden viele Kunstsparten aus den Ausstellungen der Royal Academy verbannt, weil sie nicht anspruchsvoll genug seien. Dazu gehörten Pastelle, Aquarelle und Handarbeiten mit der Begründung, es seien Arbeiten, die Frauen nur zu ihrem Vergnügen produzierten. Es waren Materialien, die leichter zu handhaben waren als Ölfarbe und daheim genutzt werden konnten. Viele Frauen verdienten dennoch gutes Geld damit. Die Society of Arts verlieh sogar Geldpreise, was eine professionelle Karriere förderte. Zu den weiteren Pionieren gehörte die Stickerin Mary Linwood (1755–1845), die als erste Frau 1809 eine Galerie in London eröffnete. Sie leitete diese beachtliche 36 Jahre.

Der folgende Raum ist der Pflanzendarstellung gewidmet, da sich Frauen darin besonders hervortaten und mitunter als Illustratorinnen für Bücher angestellt waren. Margaret Meen (1751-1834) und Augusta Withers (1792-1877) standen sogar unter königlicher Schirmherrschaft. Meen war zudem beauftragt, die Pflanzen im Botanischen Garten von Kew Gardens zu dokumentieren. Ihre hier ausgestellte Zeichnung einer Passionsfluchtblüte „Passiflora maliformis“ (1789) hat auch ihren Reiz.

Der Abschnitt „Victorian Spectacle“ wird vielfältiger hinsichtlich der Motive und Stile. In der Zeit eröffneten mehr Ausstellungshäuser, die nicht den engen Kriterien und dem Geschmack der Royal Academy unterlagen und so mehr Raum für die Präsenz von Künstlerinnen gaben. Landschaften, Historienbilder, Akte, Szenen aus dem Heim bilden hier das Panaroma. Auffallend ist Henrietta Raes großformatiges „Psyche Before the Throne of Venus“ (1894), das mit seinen Pastelltönen und fließend griechisch-inspirierten Gewändern leicht dem britischen Maler Lawrence Alma-Tadema (1836-1912) zu geordnet werden könnte. Als Frau in ihrem Gemälde auch den weiblichen Akt darzustellen sorgte für Aufregung in der Männerwelt, da gerade das Aktzeichnen als unmoralisch galt und Frauen bis 1893 von diesem Unterricht ausgeschlossen waren. 

Selbst wenn die Errungenschaften der Frauen in den frühen Jahrhunderten als höher eingeschätzt werden könnten als in den letzten behandelten Jahrzehnten der Ausstellung, sind ihre Arbeiten doch die visuell interessanteren. Zum Beispiel die Aquarelle von Barbara Bodichon (1827-1891), die viel reiste und herrliche Landschaften einfing, in denen der Betrachter schnell versinkt. Auch Rose Barton (1856-1929) sticht hervor mit ihren zart-rosafarbenen atmosphärischen Stadtansichten Londons, die woanders in der Ausstellung nicht zu finden sind. Was die Damen auszeichnet, die sich in diesem Medium profilierten, ist, dass sie vom institutionellen Kunstbetrieb ausgeschlossen waren und ihre Karriere selber in die Hand nahmen: sie organisierten Ausstellungen und entwickelten gute Beziehungen zu Kunsthändlern.

Erhellend ist der kleine Raum zur Fotografie, da diese nicht nur technisches Verständnis bedurfte für die Aufnahmegeräte und die Chemikalien, sondern auch mit hohen Kosten verbunden war. Nur wenige konnten sich dieses leisten. Dafür nahm die Photographic Society of London seit seiner Gründung 1853 auch Frauen auf, obwohl deren Treffen oft abends war, wenn Frauen an häusliche Verpflichtungen gebunden waren. Spannend sind die frühen fotografischen Beispiele von Clementina Hawarden (1822-1865), die ihre jugendlichen Töchter zu Hause sitzend vor einem großen Spiegel fotografiert und damit geschickt das reflektierende Sonnenlicht mitnutzt. Orientalische Träume gleichend, obwohl ein real eingefangenes Motiv, ist Minna Keenes (1861-1943) „Decorative Study No.1: Pomegranates” (1910), die ihre Tochter in orientalisch angehauchtem Kleid im Schatten eines Granatapfelbaums zeigt mit einer Schale voll Granatäpfeln. Die Aufnahme entstand in Kapstadt.
Die Ausstellung schließt mit den farbenfrohen Arbeiten von Laura Knight, Vanessa Bell, Ethel Walkers und ihresgleichen, die mit ihren verschiedenen Stilen die Moderne formen.

Die Zeitreise durch die weibliche Seite der Kunstgeschichte bietet nicht nur neue Einblicke, sondern auch einen guten Überblick, der Epochen, Werke und Künstlerinnen miteinander verflechtet.

Mehr Texte von Sabine Schereck

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Now You See Us. Women Artists in Britain 1520–1920
16.05 - 13.10.2024

Tate Britain
SW1P 4RG London, Millbank
Tel: +44 20 7887 8888
http://www.tate.org.uk
Öffnungszeiten: tägl. 10-18 h


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