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Alle Bären werden Brüder

Massenkommunikation ist von vornherein opportunistisch, schließlich will sie sich gut verkaufen. Also lassen sich an ihr die Trends und Tristessen, die eine Gegenwart bestimmen, besonders gut ablesen. Nehmen wir nur die Erzeugnisse aus dem Hause Disney, die dieses Jahr mit speziellem Erfolg in Kundenhände wandern. Nehmen wir dabei nicht "Findet Nemo", sondern nehmen wir "Bärenbrüder". Hier, so sieht es aus, ist der Zeitgeist wieder einmal ganz bei sich. Und das schon allein deswegen, weil die Hauptdarsteller vor allem eines auszeichnet: Zum ersten Mal in der Geschichte des Studios, das immerhin Protagonisten wie den Bären Balu oder den schlauen Fuchs Robin Hood ersann, sind sie samt und sonders humorlos. Es bedarf zweier Schmierenkomödianten in Gestalt skandinavisch radebrechender Elche, um so etwas wie Lustigkeit einzuführen. Immer schon hat Disney Gestalten gefunden, die einen Moment der Weltgeschichte auf den Punkt brachten. Thomas O?Malley etwa, der Straßenkater aus den Anfang der Siebziger produzierten "Aristocats", der die verwöhnte Schönheit Duchesse samt ihrem bourgeoisen Haushalt buchstäblich auf Vordermann bringt, um letztlich von ihnen eingekauft zu werden, war die perfekte Personifi-Katz-ion der 68er. Und Mulan, das kriegerische Mädchen, das Anfang der Neunziger ganz allein die Hunnen vernichtet, hat sämtliche Träume des Feminismus in sich vereint. Nun also die Eskimos, die sich in Bären verwandeln, und die Bären, die Menschen sind. Die spezielle Einzigartigkeit dieser Konstellation besteht darin, dass es keine Bösen mehr gibt. Der Böse ist jeweils der andere aus der Perspektive des einen, aber allesamt, so erfahren es die reichlich eingesammelten Zuschauer, wollen sie nur das Allerbeste. Und sie bekommen es schließlich auch in der mythischen Einheit von Mensch und Tier, über der die Mutter Natur und der Vater im Himmel wachen. Die schiere Polarität von Hier und Dort ist offenbar nicht mehr zumutbar. Im Allüberall der Affirmative Action gibt es nur die Eindeutigkeiten derer, die guten Willens sind. Und das sind in der Realität des Films alle. So quillt der Film über von Botschaft. Und diese Botschaft enthält, ganz avanciert, Spuren von Konstruktivismus. Das Böse ist allein Ergebnis einer speziellen Sicht, so wird verkündet, und nur weil der eine aufgrund seiner Beschränktheit es in den anderen hineinprojiziert, nur deswegen ergibt sich der Schein des Bösen. Das Böse ist eine Konstruktion. Nun ist gegen konstruktivistische Wenden überhaupt nichts vorzubringen. Doch wie wäre es, wenn die Leute von Disney das Prinzip Konstruktion nicht in ihre Plots tragen würden, sondern ihr gesamtes Produkt als eine solche nähmen? Dann müssten sie ihre Fabeln nicht mehr so ernst nehmen. Und dann dürften ihre Hauptdarsteller wieder jenes Lächeln auf die Lippen bekommen, das ihnen jetzt unter ihrer moralischen Mission vollständig vergangen ist. Humorlosigkeit, so lässt sich draus lernen, ist die Existenzform, die einem bleibt, wenn man den konstruktivistischen Verdacht nicht mehr los wird. Womöglich ist das, was man da macht, selber nicht ganz so wichtig. Doch bevor man diesen Gedanken weiterdenkt, besinnt man sich darauf, dass man ja einen Auftrag hat. Und damit man es auch selber so richtig glaubt, ist der Auftrag immer ein ethischer. Es könnte aber durchaus auch ein ästhetischer sein.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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