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Thomas Zipp - Society of the Spectacle: Atomic Dancer im Fegefeuer

Eine rotierende Scheibe zieht die Aufmerksamkeit auf sich, betritt man die Ausstellung von Thomas Zipp in der Galerie Krinzinger. Die aufgemalten konzentrischen ovalen schwarzen Ringe erzeugen durch die Drehung einen leichten Schwindel, noch bevor man sich vollends im ersten Raum der Galerie befindet. So ganz verliert sich dieses Gefühl dann auch nicht mehr, wenn man sich durch die Ausstellung bewegt.

Im Raum links steht im hinteren Teil ein großer Schreibtisch, dahinter eine große Weltkarte. Das Setting erinnert an James Bond Filme. Es ist der Schreibtisch des Bösewichts, der nichts weniger will, als die Weltherrschaft an sich zu reißen. Ein dienstbarer Sekretär, oder Sektretärin, wartet mit gezücktem Stift und Zollstock auf Anweisungen. Es steht den Besucher:innen frei, selbst Platz am Schreibtisch zu nehmen und sich vom Gefühl der Macht durchfließen zu lassen. Sollte sich eine gewisse Beklemmung ob der unerwarteten Machtfülle einschleichen, liegt eine Atemmaske bereit – ein paar tiefe Züge Lachgas und schon sind die unangebrachten Selbstzweifel verflogen.

Im Raum gegenüber ist alles auf Kollaboration und Diskurs ausgerichtet. Drei Tische mit jeweils sechs Sesseln warten auf Diskutant:innen, die sich gemeinsam Gedanken über die Zukunft des Zusammenlebens, des miteinander Auskommens machen wollen. Als Lektüre liegen zwei Publikationen bereit, die Einblicke in die Verfasstheit der Gesellschaft vermitteln wollen. Dante Alighieris „Göttliche Komödie“ steht, so erläutert Thomas Zipp im Interview, für den tiefen Blick in die Strukturen der westlichen, christlich geprägten Gesellschaft mit klar abgegrenzten Herrschaftsbereichen, mit denen Dante sich in seiner eigenen politischen Karriere ebenfalls auseinandersetzte. Guy Debord hingegen hat mit „Die Gesellschaft des Spektakels“ in den 1960er Jahren eine Analyse der Individualisierung der Gesellschaft und der fortschreitenden Entfremdung des Individuums von der Realität verfasst. Dieser Prozess, der in den letzten Jahren durch die sogenannten „Sozialen Medien“ über digitale Teilhabe und nicht mehr zwingende reale Interaktionen eine deutliche Beschleunigung erfahren hat, erlebt mit den jüngsten Entwicklungen der Bild- und Videogenerierung durch künstliche Intelligenzen einen aktuellen Höhepunkt.

Thomas Zipp verwebt die beiden Publikationen mit der Wirtschafts- und Arbeitsgeschichte des westlichen, zuletzt zunehmend neoliberal geprägten Wirtschaftssystems. Dessen Anfänge liegen, so wie der Aufstieg von Walt Disney und seiner Micky Maus, in den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise. So darf die Comicfigur in Lego-Optik als Atomic Dancer vor einem Atompilz posieren oder den Weltuntergang auf der Almhütte inszenieren. Dabei tauchen einzelne Kapitel aus dem Debord’schen Spektakel auf und mahnen etwa die dringend nötige Erneuerung in Kultur und Gesellschaft ein. Neue Aktualität bekommt das Thema des x-fachen Overkills unserer Erde durch das weltweite Atomwaffenarsenal nicht nur durch Putins jüngste Drohungen, sondern auch durch den für mehrere Oscars nominierte Film Oppenheimer von Christopher Nolan.

Wien ist übrigens indirekt auch ein bisschen beteiligt an dem Dilemma. 1878 wurde hierorts Lise Meitner geboren, die nach ihrer Promotion als zweite Frau an der Uni Wien im Fach Physik gemeinsam mit Otto Hahn an der Erkundung der Kernspaltung mitwirkte und mit ihrer physikalisch-theoretischen Erklärung dafür zur „Mutter der Atombombe“ wurde.

Und was hat das alles mit den installierten Rennstrecken zu tun, auf der mit bunten Lichtern versehene Spielzeugautos ihre Runden drehen? Jedenfalls stellen sie eine Verbindung zwischen den einzelnen Stationen der Ausstellung her und holen uns mit ihrer Verspieltheit ein wenig aus der realen Dystopie, mit der uns Thomas Zipp in seiner Ausstellung konfrontiert.

Mehr Texte von Werner Remm

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Thomas Zipp - Society of the Spectacle
26.01 - 09.03.2024

Galerie Krinzinger
1010 Wien, Seilerstätte 16
Tel: +43 1 513 30 06, Fax: +43 1 513 30 06 33
Email: krinzinger@galerie-krinzinger.at
http://www.galerie-krinzinger.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 12-18, Sa 11-14 h


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