Antje Majewski: Amerika als Zeitreise
Die Geschichte ihres Urururgroßonkels Georg Pflugradt nimmt Antje Majewski in ihrer Einzelausstellung „the man who disappeared (america)“ zum Anlass, um Problemfelder wie Migration und Rassismus, westliche Rationalität und kolonialer Landnahme künstlerisch zu reflektieren. Der Künstler Georg Pflugradt reiste nämlich Mitte des 19. Jahrhunderts von Leipzig nach New York und ist von dort quer durch den Mittleren Westen Nordamerikas gezogen, um dann schließlich in Los Angeles sesshaft zu werden.
Im Zentrum der komplexen Ausstellung steht das 37 Minuten lange Video „A Journey in Reverse“, 2023, das Antje Majewskis Reise dokumentiert, bei der sie sich mit Zug und Auto auf die umgekehrte Richtung begeben hat, die ihr Urururgroßonkel quer durch Nordamerika eingeschlagen hatte. Unterschiedlichste Landschaften sind in diesem Roadmovie zu sehen, triste Kleinstädte, Highways, Kriegsdenkmäler … Zu hören aber sind in „A Journey in Reverse“ ins Englische übersetzte Briefe von Georg Pflugradt, in denen er, zum Teil mit rassistischer Sprache, detailliert von seiner beschwerlichen Fahrt damals berichtet. Im signifikanten Gegensatz zu dem Visuellen machen diese Briefe zudem deutlich, wie sich Nordamerika seit Mitte des Jahrhunderts entwickelt hat. Vor allem die durch die industrielle Monokultur ausgebeutete und größtenteils verödete Landschaft fällt da auf. Pflugradt dagegen beschreibt in seinen Briefen noch eine vergleichsweise üppige Natur, die von der nachhaltigen Nutzung der indigenen Bevölkerung profitierte.
Flankiert wird das Video von fünf „Unreliable Images“, alle 2023, der Künstlerin. Dargestellt sind auf diesen Bildern u.a. ein Porträt eines deutschen Immigranten, eine Landschaft mit Viehherde und ein Porträt eines jungen Mormonenmädchens. „Unzuverlässig“ sind diese auf dem ersten Blick „realistischen“ Gemälde, weil sie mit der digitalen Unterstützung von KI erstellt wurden. Die Künstlerin hat nämlich mit Hilfe von Sätzen aus Pflugradts Briefen und einschlägigen Pics aus dem Internet Bilder künstlich generiert, die den Vorstellungen ihres Urururgroßonkels nahekommen könnten, gleichzeitig aber auch gängigen Klischees entsprechen. Diese Bilder hat Majewski dann idealisierend (um)gemalt und so erinnerte Vergangenheit und imaginierte Vision in einen sublimen Dialog gebracht.
Im Nebenraum hängen wandfüllend Fotos von Exponaten aus Geschichts- und Heimatmuseen, die Majewski während ihrer Reise durch Nordamerika gemacht hat. Deutlich wird in der Zusammenstellung dieser Bilder, wie in diesen Museen einerseits gnadenlos die weiße „Pioniergeschichte“ verherrlicht wird, andererseits die Geschichte der indigenen Bevölkerung nur am Rande und aufgeladen mit den üblichen Klischees des „naiven Wilden“ gezeigt wird.
Historische Karten schließlich, u.a. von „Emigrant Roads“ in Nordamerika und den Routen der Immigranten über die Ozeane, betonen, ein wenig didaktisch vielleicht, in der ansonsten bedenkenswerten Ausstellung den geopolitischen Kontext der hier verhandelten Familiengeschichte Antje Majewskis.
27.01 - 24.02.2024
Galerie neugerriemschneider
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