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Ene-Liis Semper: Bestürzend unspektakulär

Haben Sie schon einmal versucht, sich eine Treppe hinaufzuwälzen? Und zwar nicht in Soldatenmanier robbend, sondern auf dem Rücken, und mit dem Kopf nach unten? Gar nicht so einfach: leichte Schwindelgefühle und die Erkenntnis, vielleicht doch zuviele Zigaretten zu konsumieren wechseln sich ab mit veritablen Schmerzen und Blauer Flecken-Gefahr. In ihrem beeindruckenden Video "Stairs" quält sich die 1969 geborene estische Künstlerin Ene-Liis Semper dennoch fünf Minuten mit dieser Beschäftigung, bis sie endlich am oberen Absatz ankommt und sich aufrichtet. Verstärkt durch die Zeitlupe und einen kratzend-säuselnden elektronischen Sound nimmt die Mühsal der Aktion zunehmend gefangen, involviert und bedrückt physisch. Ähnlich beim Video "Oasis", in dem der Mund der Künstlerin als Blumentopf missbraucht wird: grob schaufeln zwei anonyme Hände anfänglich Erde hinein, pflanzen Blümchen darauf und gießen das ganze zum Schluß. Dazu ein hoher Pfeifton - den man in der Galerie nur bei Bedarf einschaltet, sonst würden wahrscheinlich alle durchdrehen. Das Bestürzende und daher Packende an den Arbeiten von Ene-Liis Semper ist, dass die Gewalt, die sie sich und uns antut, keine absolute ist: während sich die feministischen Künstlerinnen der 70er Jahre von Abramovic über Pane bis Export brutal mit einem ganzen Arsenal von Schneidewerkzeugen den Körper stellenweise öffneten und damit sehr eindeutige Bilder schufen, fragt man sich hier auf den ersten Blick: Tut das eigentlich richtig weh? Oder ist es eher unangenehm? Unangenehme Gefühle weckt auch das dritte Video: Szenen ihres Mannes und ihrer Tochter die an einem Tisch sitzen wechseln mit Aufnahmen der in einem Hasenkostüm steckenden Künstlerin. In Zwischentiteln erzählt sie von den unangenehmen Seiten des gemeinsamen Alltags: Betrug, Erschöpfung, Minderwertigkeitsgefühle. Keine spektakulären Tragödien, sondern allgemeine Unannehmlichkeiten - die so oder ähnlich überall stattfinden. Und gerade deshalb emotional stärker überwältigen als jede Spektakelkunst.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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Ene-Liis Semper
31.03 - 08.05.2004

Raum aktueller Kunst Martin Janda
1010 Wien, Eschenbachgasse 11
http://www.raumaktuellerkunst.at


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