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Die Kampfansage

Ist die Kunst- und Redefreiheit in Deutschland in Gefahr, eingeschränkt zu werden? Wir bringen ein Interview von Raimar Stange mit Alexander Koch, Galerist bei KOW Berlin, anlässlich der Absage der Ausstellung „TDLR“ von Candice Breitz im Saarbrücker Saarlandmuseum. Die Absage wurde mit angeblich kontroversen Aussagen der Künstlerin zum Gaza-Krieg begründet. Breitz wird von KOW vertreten und als Skandal-Künstlerin (BILD) und Antisemitin verunglimpft.  

Raimar Stange: Waren Sie eigentlich überrascht von der Absage der Ausstellung von Candice Breitz in Saarbrücken?

Alexander Koch: Ja natürlich. Ich war erstaunt. Ich kann auch heute noch nicht erkennen, wie sich diese Absage legitimieren ließe. Andererseits passt sie ins Bild. Es vergeht kein Tag, an dem nicht Personen, Auftritte und Projekte gecancelled oder zensiert werden. Auch Candice Breitz war davon schon betroffen, als das von ihr mit konzipierte Symposium “We Still Need to Talk“ erst von der Berliner Akademie der Künste und dann später von der Bundeszentrale für politische Bildung zunächst geplant und dann abgesagt wurde. Ich frage mich, wie weit sich diese Einschränkungen der Redefreiheit noch hochskalieren lassen. Das betrifft nicht nur Deutschland. Am Dienstag unterband die Bürgermeisterin von Paris eine Veranstaltung gegen Antisemitismus mit Judith Butler und Angela Davis. Bislang findet man in deutschen Medien übrigens kein Wort darüber. 

RST: Diese, wie Sie sagen, „Einschränkung der Redefreiheit“ wurde begründet unter anderem damit, dass Candice Breitz sich nicht ausreichend von dem Massaker der Hamas am 7. Oktober distanziert hätte. Können Sie diese Begründung in irgendeiner Form nachvollziehen? 

AK: Nein. Erstens ist sie falsch und zweitens völlig überzogen, wenn man Breitz unterstellt, sie habe den „Zivilisationsbruch“ nicht anerkannt, für den der 7. Oktober stehe. Es ist beschämend, dass Deutsche jetzt Juden erklären, was sie über den Mord an Juden fühlen und sagen sollen. Candice Breitz hat vielfach explizit und in starken emotionalen Worten die Angriffe der Hamas öffentlich verurteilt. Wahrscheinlich scheint, dass man in Saarbrücken einen Artikel gelesen hat, der anderes behauptete. Das ist ja eines unserer Hauptprobleme: Mutmaßungen und Unterstellungen reichen aus, um scharf durchzugreifen, ohne mit den betroffenen Personen zuvor in Austausch zu gehen, Fakten zu prüfen und solide Argumente vorzubringen, was – zumal für Institutionen – eine Mindestanforderung sein sollte, ehe man Stimmen zensiert.

RST: Seit der letzten Documenta und auch im aktuellen Konflikt reicht schon die Zuschreibung einer Nähe zu BDS um Sanktionen zu erfahren. Werden wir Opfer einer deutschen „Staatsräson“?

AK: Mit dem Begriff Opfer wäre ich vorsichtig, solange viele der betroffenen Akteure (noch) relativ privilegiert sind. An der Stelle müsste man beginnen, sehr genau zu differenzieren. Mir scheint überhaupt, gut zu differenzieren müsste jetzt erste Tugend sein. Es gibt Menschenrechte, Grundgesetze, Strafgesetzbücher usw., in denen ziemlich viel von dem geregelt ist, was getan und gesagt werden darf. Diese gemeinschaftliche Grundlage wird aber moralisch ausgehebelt. Künstler:innen haben sich keiner Staatsräson zu unterwerfen. Punkt. Wer das fordert, zerstört gemeinschaftlichen Boden, wer das erzwingen wollte, würde sich wohl strafbar machen. Wie viel Raison gäbe es noch in einem Staat, in dem das legal wäre? Der Sachverhalt BDS ist kompliziert. Wie aber vielfach betont wurde, ist eine Grenze überschritten, wenn Handlungen rückwirkend kriminalisiert werden und eine „Nähe“ unterstellt wird, die man ja in jedem Einzelfall erst genau zu bestimmen und nachzuweisen hätte. Jemandem Fördergelder oder Funktionen abzusprechen, weil vor zig Jahren in irgendeinem Zusammenhang ein Brief unterzeichnet wurde, das erinnert mich an Zustände in Ländern, die die deutsche Regierung kritisiert, wie etwa die Türkei, wo schon die Unterstellung, man stehe der PKK nahe, zu jahrelanger Haft führen kann. Auch in Saarbrücken wollte man Breitz wieder BDS-Nähe unterschieben, obwohl sich solche Behauptungen schon in der Vergangenheit nicht belegen ließen und sie auch nie einen dieser besagten Briefe unterschrieb.

RST: Sie sagten, die „Nähe“ wäre „nachzuweisen“ – bedeutet das, dass, wenn dieses dann geschieht, die „Staatsräson“ tatsächlich das Recht hätte, den oder die Betroffene zu drangsalieren? Gehört zu unserer Redefreiheit nicht auch das Recht, sich zu einer in Deutschland nicht verbotenen und nur in ganz wenigen Ländern dieser Erde als antisemitisch eingestuften Kampagne zu bekennen? 

AK: Was ich meine ist, dass SPD, Grüne, FDP und fast wortgleich auch CDU/CSU am 7.11. Entschließungsanträge in den Bundestag einbrachten, die den BDS-Beschluss von 2019 verschärfen sollen. Man will „die bereits gegen die (antisemitische) BDS-Bewegung gerichteten Aktivitäten dahingehend verstärken, dass auch ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland geprüft wird.“ Setzte sich diese Entwicklung im Regierungshandeln durch, kämen wir in eine Situation, vor der schon 2020 namhafte Instanzen warnten – vor dem staatlichen Boykott von Akteuren und Debatten, die sich irgendwie mit dem BDS in Verbindung bringen lassen. Wir wissen, dass sich entsprechende Vorwürfe leichter behaupten als entkräften lassen. Und wir wissen aus der eigenen Geschichte, wie staatliche Gewalt sich leise anschleichen und dann anschwellen kann, bis sie irgendwann später zum Regime geworden ist. Schon jetzt geschehen in Deutschland Dinge, über die man sich in den meisten Ländern der Erde die Augen reibt.

RST: Gehört zu den besagten „Dingen“, über die man sich die Augen reibt, auch eine Presselandschaft, deren Leitmedien zwar Pro-Palästina - Initiativen kritisieren, aber die Absage der Ausstellung von Candice Breitz in Saarbrücken nahezu totschweigen? Werden unsere Medien immer mehr zu sich selbst gleichschaltenden Organen?

AK: Ich beobachte, wie viele von uns nach Begriffen suchen, die beschreiben können, was vor sich geht. Ich glaube zu dem Epochenwandel, in dem wir uns befinden, gehört, dass unsere alten Vokabeln nur noch bedingt passen, neue aber noch nicht etabliert sind. Man ist empört und aufgebracht, aber wenn man klare Aussagen machen möchte, gerät man ins Stocken. Gleichschaltung. Fühlt sich so an, ja. Jedenfalls leisten die meisten Medien der Demokratie gerade keine guten Dienste. Sie wirken verschlossen in einem scheinbaren Konsens, den sie meinen, vertreten zu sollen, eigentlich aber konstruieren. In einem vorauseilenden Dominoeffekt verstärken sie die eigenen Positionen gegenseitig, ohne ausreichende Rückkoppelung nach Außen, in die Gesellschaft. Das führt dazu, dass viele intelligente Leute gar keine Plattform mehr haben. Nicht gefragt, nicht gehört werden, weil sie wohl etwas nicht Konformes sagen könnten und auch würden.

RST: Das hat Folgen ...

AK: Ich frage mich: Abzüglich der meisten AFD-Wähler würden vielleicht 70% der restlichen Bevölkerung vielem zustimmen, dass Sie, Frau Breitz oder ich so denken, vorausgesetzt, Informationen und Argumente würden ausgetauscht. Vielleicht liege ich falsch. Aber was, wenn nicht? Dann wäre die Krise der Repräsentation noch größer als wir eh schon denken, auch in den Medien. Dazu gehört, dass im Einklang mit der Politik Begriffe wie Apartheid oder Genozid, aber auch manche Forderungen etwa des BDS, umgehend als illegitim oder gar antisemitisch bezeichnet werden, gleich, ob die UNO oder internationale jüdische Organisationen gleiche Worte oder Forderungen verwenden. Man kann das hart kritisieren. Aber Demokratie bedeutet nun mal Konflikt, und den hat man dann halt, wenn es verschiedene Auffassungen gibt. Wie es aussieht, hat man das in Deutschland vollkommen verlernt.

RST: Noch einmal zurück der Absage der Ausstellung von Candice Breitz in Saarbrücken. Ihr werdet in den Sozialen Medien aufgefordert, das Saarlandmuseum zu verklagen. Schließlich hat die Absage ja Konsequenzen, wirtschaftliche und solche des Rufes. Werdet Ihr klagen?

AK: Ich denke ab jetzt sollten Individuen und Körperschaften vermehrt prüfen, ob ihnen Rechtsmittel zur Verfügung stehen, wenn sie an ihrer Praxis behindert werden, der Tatbestand des Rufmords im Raum steht, Staat oder Medien sie diskriminieren oder delegitimieren. Es wäre wichtig, nicht unwidersprochen in die von Ihnen angesprochene Opferrolle zu geraten. Das können sich aber nur wenige leisten. Wir haben ja tatkräftige Anwältinnen und Anwälte im Land, von denen viele Kunstsinnig sind und Redefreiheit hochschätzen. Ich fände es sehr begrüßenswert, wenn sich da vielleicht eine Allianz aus Kunst- und Rechtsliebhabern bilden würde, um an Stellen einzugreifen, die systemisch relevant sind, auch wenn die betroffenen Akteure sich einen solchen Vorgang selbst nicht leisten können. Da bräuchte es dann die Unterstützung durch Dritte. Es geht ja nicht um den Einzelfall. Es geht um Grundrechte und zunehmende Versuche, diese Rechte zu unterwandern. Rechte, die in einer Demokratie uns allen gehören.

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Begriffsverwirrung
Günter Stickler | 11.12.2023 08:46 | antworten
Freiheit ist immer auch jene des Andersdenkenden. Wem Argumente fehlen, der will dem Gegner die Rede abschneiden. Solche Meinungsmetzger sind allerdings noch nicht in der Demokratie angekommen.

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