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Kyiv Biennial Vienna: Not A Shooting Adventure

Die fünfte Ausgabe der Kyiv Biennale ist die erste, die unter den Bedingungen eines umfassenden Krieges stattfinden muss. Die Vorzeichen sind damit völlig andere als in den Vorjahren: Zum einen ist die ukrainische Künstler:innenschaft zu großen Teilen über das Ausland verstreut. Zum anderen bedrohen die ständigen Angriffe auf die Ukraine konstant das öffentliche Leben. Und schließlich schreibt die Verletzung durch den Krieg an allen Arbeiten mit.

Georgia Sagri hat das Bild einer solchen klaffenden Wunde als Vinyldruck über einen der Durchgänge der Augarten Ateliers gesetzt, wo dieses Jahr die Hauptausstellung des Wiener Ablegers der Biennale stattfindet. Sie schwebt, könnte man sagen, über allem. Das Motiv der Wunde wird sich darüber hinaus in allen möglichen Varianten in der Ausstellung wiederfinden, sei es als Fotografien von Kriegsversehrten (Friedrich Bungert/ eingeladen von Wolfgang Tillmans), sei es als Bestandsaufnahme der hinterlassenen Lücken im Museum von Cherson, das Artefakte aus 7000 Jahren örtlicher Geschichte beherbergte und kurz vor der Befreiung der Stadt von russischen Soldaten systematisch ausgeräumt wurde (Rōman Himey /Yarema Malashchuk). Im Übrigen werden Verletzungen auch aus queerer, ökologischer oder soziologischer Perspektive betrachtet. Oft wird dabei auf eine dokumentarische Praxis zurückgegriffen, und den Arbeiten so Unmittelbarkeit verliehen, wie im Videotagebuch von Alisa Sizykh, das just in der Woche vor dem 24. Februar 2022 aufgenommen wurde. Vielleicht ist die Realität der konkreten Gewalt von solch brutaler Aufdringlichkeit, dass nur selten auf Abstraktion zurückgegriffen wird, um sie zu verhandeln. Wenn, wirkt das Abstrakte an der Stelle etwas schal. Liegt zum Beispiel in der Geste, ein bloßes Fragezeichen (Július Koller) an die Wand zu malen, nicht auch Überheblichkeit?

In einer der Hallen steht in großen Leuchtbuchstaben geschrieben: "There is an elephant in the room". Für mich ist das das, was die Wunde verursacht hat. Über den Aggressor wird selten geredet hier, was fast unverständlich ist, wie man sich nicht auf Anfeindungen einlassen kann, was aber der Ausstellung eine Art Würde verleiht. Die Wut ist meistens latent, versteckt hinter Nüchternheit, wie wenn zum Beispiel Kateryna Lysovenko auf den imperialistischen Hintergrund vieler heute in der Petersburger Eremitage lagernder Stücke hinweist. Manchmal kocht sie doch hoch, wie in den anklagenden Kommentaren von Dan Perjovschi zum kaltblütigen, kalkulierten (politischen) Umgang des Auslands mit dem Krieg (und Putins Russland).

Die Wunde verleiht den Werken eine grundsätzliche Autorität, aber es sind die Prozesse der Heilung, die in den Arbeiten angegangen werden, die ihnen ein Wollen verleihen - trotz, oder gerade wegen der Möglichkeit des Scheiterns. Das kann die Form von Aktivismus annehmen, wie in der Initiative Livyj Bereh, die die Reparatur zerstörter Haus- und Schuldächer organisiert und damit die Rückkehr von Leben ermöglicht. Es kann auch die Form einer lyrischen Gegenüberstellung blühender Natur und existenzieller Trauer annehmen, wie bei Darya Tsymbalyuk. In den Bannern von Ksenia Hnylytska, in denen Zukunftsszenarien vorgestellt werden, oder in einem zweiten Film von Rōman Himey und Yarema Malashchuk, in dem tanzende Feiernde durch die Nacht begleitet werden, liegen Resilienz und Hoffnungslosigkeit oft nah nebeneinander.

Eine der rauesten Arbeiten ist der Videomitschnitt eines Trainingszentrums im Westjordanland, in dem Touristen für den Fall eines Terrorangriffs vorbereitet werden. Tomáš Kajánek zeigt eine groteske Fetischisierung der Gewalt und nebenbei Sprach- und Denkbilder, die solche Gewalt produzieren. Das wäre das krasse Gegenteil der Kyiv Biennale in Wien.

Ein Satz aus dem begleitenden Booklet vom Kollektiv AKT, das die Biennale architektonisch mitgestaltet hat, lässt, auch mit Blick auf den anderen derzeitigen großen Konflikt im Nahen Osten aufhorchen. AKT stellt die Biennale vor als "Ort der Solidarität, nicht des Konsenses. Denn Solidarität muss nicht konsensbasiert sein, wenn sie auf einem gemeinsamen Bewusstsein davon basiert, was unsolidarisch ist. Solidarität steht auf diese Weise nicht am Ende, sondern am Beginn eines Aushandlungsprozesses."

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Dass die Biennale stattfinden kann ist nicht zuletzt der Ausweitung auf weitere Mittel- und Osteuropäische Städte geschuldet. Neben Kyiv werden Iwano-Frankiwsk und Uschhorod in der Westukraine, Warschau, Lublin, Berlin, Antwerpen und schließlich Wien als Ausstellungsorte geführt.

In Wien, offiziellem Hauptausstellungsort der Biennale, verteilt sich rund die Hälfte der Arbeiten der knapp 60 Künstler*innen auf die Räume von Augarten Contemporary, ein gutes Viertel ist bei Never At Home zu sehen, im Neuen Kunstverein Wien ist eine weitere Halle gefüllt, dazu kommen einzelne Positionen bei hoast, IG Architektur, Laurenz, Ve.Sch und dem Pop-Up Projekt Waffen Franz Kapfer.

--> www.kyivbiennial.org

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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Kyiv Biennial Vienna
17.10 - 17.12.2023

Augarten Contemporary
1020 Wien, Scherzergasse 1a
https://www.erstestiftung.org/de/events/kyjiw-bienniale-2023/
Öffnungszeiten: Mi - So 12-18 h


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