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Barbara Kapusta — Solar: Die Dystopie im trauten Eigenheim

Gestreckte Figuren mit metallisch glänzenden Körpern schreiten durch unbewohnbares Land. Da der postapokalyptische Zustand des geplatzten Einfamilienhaustraumes, von dem nur mehr die Ruinen desselben zu erkennen sind, in der darauffolgenden Szene nichts anderes als die kahle, staubige Landschaft als Überbleibsel. Bedacht, vorsichtig und manchmal gar plump sind diese Bewegungen der Figuren ausgeführt, so als müssten sie sich in diesem menschenleeren, mondähnlichen Areal selbst erst zurechtfinden. Wenige Pflanzen haben sich so angepasst, dass sie inmitten des löchrigen, rissigen Bodens einer vom Verfall gekennzeichneten Landschaft überleben können. Alles rings herum scheint tot und abgestorben, das Gelände wirkt kahl und trotz der aus den Bildern sprechenden Hitze kühl. Mal rücken verdorrte Bäume mit kahlen Ästen ins Bild, dann wiederum die Ruine selbst, deren Verputz bröckelt wie die Häutung nach einer Verbrennung, wobei sich darunter gleich die nächste verkohlte Schicht offenbart. Fenster sind eingebrochen, die Hölzer morsch, der Putz fällt ab. Die Landschaft ist in Grau und Braun gehalten, einzig die silbernen Gestalten der Figuren heben sich von ihrer Umgebung ab. An Menschenleben ist hier nicht mehr zu denken und doch wird deutlich, dass es hier mal Leben gab.

Mittendrin in dieser verlorengegangenen, nun todgeweihten Utopie des Einfamilienhauses mit Garten stehen also nun die Betrachter:innen in ihrer Opfer-Täterrolle und blicken aus unterschiedlichen Perspektiven auf die sich im Kunstraum Lakeside auftuende, hier bewusst nicht in unmittelbarer Augenhöhe aufgebauten Vierkanal-Videoinstallation Solar (2022/23), auf der sich dieses Szenario abspielt. Sie schauen den Körpern bei ihren roboterähnlichen Slow-Motion-Bewegungen durch die zur Wüste gewordenen Erde zu, werden aber auch selbst zum Teil davon. Fluide pendelt Kapustas Installation, die als Videoanimationsarbeit von einem Team bestehend aus Barbara Kapusta, Joshua Mallek, Herwig Scherabon und Stefanie Schwarzwimmer produziert wurde, zwischen der Realität auf der einen und der Fiktion auf der anderen Seite. Als Teil des Gesamtwerkes referiert sie durch das Glas gleichermaßen nach draußen wie nach drinnen und kann von jeder Position des Raumes in anderer Pose wahrgenommen werden. Das ist auch das grundsätzliche Spiel, das Kapusta treibt: Man kann die Katastrophe aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, ohne sich selbst vom Geschehen herausnehmen zu können. Das Publikum kann eine mehr oder weniger lümmelnde Position auf einem der Installation angehörigen Sitzsack einnehmen oder sich auf einer zum Ausstellunginventar gehörigen Bank gemütlich machen. Es kann sich durch das dem Untergang geweihte Paradies bewegen, mit den Blick durch die hohen Glasfenster des Kunstraumes zu den Bauten des Lakeside Science & Technologypark. Wo hört die im Video heraufbeschworene Zukunftsdystopie, die hier ganz Gegenwart geworden ist, auf? Ist es der Kunstraum selbst, der zu diesem trauten Eigenheim wird? Die Metapher des Fensters ist gedoppelt: Das eingestürzte Einfamilienhaus auf den Bildschirmen verbindet sich mit der noch heilen Welt draußen, die kurz vor dem gezeigten Kollaps steht. Selbst die Nachhaltigkeit suggerierenden Holzbauten in denen die Büros der Technologiefirmen untergebracht sind, erweisen sich vor diesem Hintergrund als Trugschluss, denn alles um sie herum scheint auf Wirtschaft, Leistung, Fortschritt und Kapitalismus gerichtet. Da wird dann auch klar, warum es gerade das zerstörte Idyll des einstigen Einfamilienhauses mit Garten ist, das hier als Parabel der Postapokalypse immer wieder aufpoppt. Das isolierte Eigenheim im Grünen steht symbolisch als Synonym für Vereinzelung und Individualisierung einer Gesellschaft, die am logischen Ende angelangt ist. Die Erzählstimme der Videoinstallation ordnet sich dann mit monotonen, doch nachdrücklichen, computergeneriert anmutenden Ton in den Untergangskanon ein, schaukelt ihn gleichzeitig auf. „20% of our future is a possible world, 10% is our present, 50% is our past, we dream of abundance, we share what is no ours” tönt es aus den Lautsprechern heraus. Fragen nach dem Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft – Stichwort Generationengerechtigkeit - sowie einer im Überfluss vorhandenen Energie und der Problematisierung des verschwenderischen Umgangs damit werden laut.

Eigentümlich wirken auch die fiktiven Protagonist:innen, die einen umringen und umgeben und sich aus dem Video heraus selbstständig machen. Kapustas inszenierte Körper sind sogenannte „Techno-Bodies“, wobei sich dann wiederum ein Verweis auf die gesellschaftliche Realität auftut. Diese Körper amalgamieren wie der Körper des Menschen des 21. Jahrhunderts zwischen Technologie, Wissenschaft, Medizin einerseits und Natur andererseits sowie zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Protesenartig baut Kapusta diese metallischen Konstrukte zusammen, die halb Mensch, halb Computer sind, da sie mal anthropomorphe Eigenschaften zeigen, dann aber wieder abrupt ferngesteuert agieren. Schließlich aber fungieren die Körper als Gegenpole zu den unseren: Suggeriert das Bild des trauten Einfamilienheimes, dass hier mit Kohle geheizt wurde, ist die Energie mit denen die langgezogenen, silbernen Körper angetrieben werden erneuerbar. So erklärt sich auch, wozu die Videoinstallation die Dystopie immer wieder durchbricht und eine Parallelwelt heraufbeschwört, die auf umgewandelter Hitze und Energie basiert. So werden auch die Figuren eine Vergangenheit katapultiert, aus der sich dann Zukunft formt, die – entgegen des Bildes des abgeschotteten Einfamilienhauses – auf Kollektivität fußt. Das schlägt aber schlagartig um: Dann wirken die Figuren nämlich wie Spiegel und haben Stellvertreterfunktion der hier nicht mehr existenten Gesellschaft. Sie sind als gesichts- und geschlechtslose Wesen entindividualisiert, auch nehmen durch ihre glatten Oberflächen die Umgebung reflektierend als Ebenbild des vergangenen Missbrauches in sich auf. Interessanterweise haben diese Figuren, wie sie von der Künstlerin häufig auch im öffentlichen Raum als Plastiken inszeniert werden und zum Interagieren einladen, nichts Grausames oder Angstmachendes in sich, sie wirken eher lieblich und sanft mit den weichen, metallischen Rundungen. Eine dieser Figuren hockt als Skulptur im südwestlichen Eck des Kunstraumes und wirkt wie aus dem Bild gefallen. Die Figur ist Beobachtende wie Beobachtete, sie blickt aus dem Fenster hinaus, in anderer Perspektive aber auch einen unmittelbar an. Sie döst oder aber steckt sich und posiert, weil sie aktiv wie passiv zugleich sein will. Abermals überschreitet die dargelegte Dystopie Kapustas ihre räumliche Verortung. Partizipation der Zuschauer:innen sowie Miteinbeziehung von Inneninterieur und Außenarchitektur lassen das die eine Realität im Vierkanal- Video unmittelbar in die andere gleiten. Das Mätopiegleichnis breitet sich in der fiktiven Welt auf den Bildschirmen wie vor Ort aus, verschränkt sich und wird fluide – im Video als Resultat des vergangenen Missbrauches, im physischen Raum mit Blick nach draußen als der Missbrauch selbst. So ist der Klimawandel im Lakeside angekommen – das fluide Ganze ist ganz wie der Struktur des Kunstraumes in äußerem Schaufensterformat ähnelnd transparent geworden.

Der Kunstraum Lakeside, der als Kunst am Bau-Projekt initiiert ja selbst wie ein Dorn im wirtschaftsorientierten Lakesidepark mit seinen Büros von Unternehmen wie 1st Log Development, Infineon Technologies, MAVOCO AG oder COYERO GmbH wirkt, ist wohl ideales Experimentierfeld für eine künstlerische Auseinandersetzung rund um Fragen der Klimakrise. In dieser Ausstellung kommt der Kunstraum gar nicht ohne den ihn umringenden Technologiepark aus, er zieht ihn in die heraufbeschworene Apokalypse mit hinein. Barbara Kapustas Intervention Solar wird hier nicht mehr einzig ihrer Rolle als bloße Videoinstallation gerecht, sie wirkt raumgreifend. Video, Mobiliar, Sitzgelegenheit, Skulptur, Außenarchitektur – die Fiktion denkt sich hier als Realität der Zukunft weiter und das Publikum steht mittendrin.

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Florian Gucher ist artmagazine Stipendiat 2023
Wir danken der   für die Unterstützung des artmagazine-Stipendiatenprogramms

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Barbara Kapusta — Solar
22.11.2023 - 12.01.2024

Kunstraum Lakeside
9020 Klagenfurt, Lakeside B01
Tel: +43-463-22 88 22 11, Fax: +43-463-22 88 22 10
Email: office@lakeside-kunstraum.at
http://www.lakeside-kunstraum.at


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