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Nobelpreis

Die Frau, die en face wiedergegeben ist, ist mit einer Bluse oder einem weichen Jackett bekleidet. Ihr halblanges, dichtes Haar ist wellig. Sowohl ihr Oberteil als auch ihre Brille sind von runden Ausschnitten gefasst. Neben ihr ist ein Mann in gleicher Charakteristik abgebildet. Sein kahler Kopf ist leicht zur Seite gedreht, wodurch sein rechtes Ohr und die spärlich nach hinten gekämmten Haare sichtbar werden. Er trägt ein Hemd, ein Sakko und eine Krawatte. Trotz der ähnlichen Darstellung wirkt er markanter und präsenter. Dies ist auf seine erhöhten Augenbrauen, die leichte Kopfdrehung und den Umriss zurückzuführen. Seine Glatze trägt durchaus zu dieser Wirkung bei. Obwohl ausreichend Weißraum für den Hintergrund vorgesehen ist, ist die Kleidung der beiden an manchen Stellen durchsichtig gehalten. Der unbehandelte Grund schimmert durch. Die Körper überlappen sich sogar. Die Kontur der linken Schulter der Frau verläuft bis zum Hemdkragen des Mannes, und umgekehrt kreuzt die Schulterlinie des Mannes den Kragen der Frau. Dieser Kunstgriff, der ein surreales Moment einführt, ermöglicht es, die beiden eng nebeneinander darzustellen, ohne dass eine Person räumlich hervortreten würde. Dies ist entscheidend für das Konzept der Gleichbehandlung, das sich auf die grundlegenden Darstellungsmerkmale und auch die bildliche Absicht erstreckt. Vieles haben die beiden Dargestellten demzufolge gemeinsam. Dazu gehören zuvorderst die klaren Konturen der Gesichter. Die schwarzen Linien werden dabei separat behandelt. In der grafischen Auflösung steht jede Kontur für sich. Das ist der Grund, warum diese Gesichter maschinell generiert wirken, aber auch an einen historischen Holzschnitt erinnern. 

Die genannten Merkmale sorgen für die Wiedererkennbarkeit des Bildes und unterstreichen die beabsichtigte plakative Wirkung. Ein besonders bemerkenswertes Merkmal ist das eingebrachte Gold. Obwohl auch das Gold zur Wiedererkennbarkeit beiträgt, dient es weniger der Identifikation der Dargestellten als der speziellen Funktion des Bildes. Denn die beiden Personen auf dem Bild sind Katalin Karikó und Drew Weissman, die diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin. Ihre bahnbrechenden Forschungen legten entscheidende Grundlagen für die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe, wie sie in der offiziellen Begründung des Nobel-Komitees hervorgehoben werden. Zweifellos haben diese Forscher:innen dazu beigetragen, seit dem Ausbruch der Pandemie Millionen Menschenleben zu retten.

Das Porträt wird anlässlich der Verkündigung des Nobelpreises am 2. Oktober 2023 erstmals veröffentlicht. Seit über einem Jahrzehnt erstellt Niklas Elmehed, ein schwedischer Grafiker und Künstler, die offiziellen Porträts der Nobelpreisträger:innen. Er behauptet, nur wenige Stunden für ein Porträt zu benötigen. Elmehed nennt Frida Kahlo und David Hockney als seine Vorbilder, obwohl seine charakteristische Technik, Gesichtszüge über schwarze Striche zu betonen, eher von der Gebrauchsgrafik und von künstlerischen Bewegungen inspiriert ist, die diese Technik nachahmen. Beispielsweise verwenden Raymond Pettibon, Julian Opie und Roy Lichtenstein ähnliche Linien in ihren Werken. Auch gibt es auffällige Farben, wie etwa bei Lichtenstein, der knalliges Gelb für blonde Frauen und ein intensives Blauschwarz für ihre Liebhaber einsetzt. Doch bei Lichtenstein geht es nicht um Sakralität und Nobilitierung, sondern um Abklatsch, Banalität und einen als minderwertig erachteten Geschmack.

Dennoch finden sich Parallelen zwischen den Techniken von Pop-Künstlern wie Lichtenstein und dem Porträtmaler aus Schweden. Beide greifen auf vorhandene Vorlagen zurück und verwenden fremde Bilder als Grundlage für ihre eigenen. Während Lichtenstein Comics und Schmonzetten zitiert, nutzt Elmehed fotografische Vorlagen, die ihm kurz vor der Bekanntgabe der Preisträger:innen zur Verfügung stehen. Aus diesen Bildern destilliert er, wie in einem Video zu sehen ist, die Gesichtszüge der Porträtierten. Sein Hauptziel ist die Schaffung nachhaltiger, bildstarker Effekte. Während aber Lichtenstein auf Klischees und die Infragestellung von High und Low abzielt, strebt Elmehed nach einer ästhetischen Neutralität. Seine Haltung der Äquidistanz führt zu einer bildlichen Verallgemeinerung der dargestellten Personen und treibt ihn auch dazu, Umgebungen und Umstände außer Acht zu lassen. Elmeheds Figuren werden bildlich freigestellt und entbehren jeglicher räumlicher Zuordnung. Es findet sich weder Persönliches noch Attribute und Requisiten. Dies steht in deutlichem Kontrast zu Roy Lichtenstein, dessen Figuren nicht nur in erkennbaren Zusammenhängen dargestellt werden, sondern auch von intensiven Emotionen geprägt sind. Lichtensteins Figuren sind keineswegs neutral oder unverbindlich. Sie sind vielmehr verängstigt, trostlos oder bekümmert.

Elmehed bezieht sich, wie bereits erwähnt, auf Frida Kahlo, deren Werk ebenfalls beträchtlich von Emotionen geprägt ist. Diese Emotionen sind jedoch nicht sofort erkennbar. Kahlo zeigt sich zwar in persönlicher, authentischer Haltung, dennoch wirkt ihr Antlitz formalisiert. Sie verwendet keine fremden Bilder, sondern vermittelt die Entfremdung des Selbstbildnisses über die Darstellung des eigenen Körpers. Ihr Leben lang leidet Kahlo unter körperlichen Schmerzen, dennoch zeigt sie ihr Ebenbild in einer verallgemeinerten und kontrollierten Form. Während Elmehed auf Offenheit und Universalität abzielt, bleibt Kahlo verschlossen, intim und rätselhaft.

Das Besondere am Porträtstil vom Elmehed ist zweifellos das Gold. Elmehed verwendet Blattgold, das er nahe der schwarzen Linien mit dem Pinsel aufträgt. Gold war schon seit jeher ein Zeichen für besondere und ausgezeichnete Menschen, sei es in religiösen Darstellungen von Heiligen oder königlichen Insignien. Gold wird als Krönung oder Schmuck auf Altären, Apsiden und Münzen verwendet und ist das zentrale Element in vermutlich allen Ikonen. Doch Elmehed verwendet das Gold auf ungewöhnliche Weise, indem er es als Schatten einsetzt, es gleichsam in den Dienst stellt und im Bildzusammenhang entwertet. Das Gold existiert nur am Rande des Lichts. In seinen Porträts folgt es den Außenkanten des Gesichts und verläuft entlang des Halses. Die schimmernden Schatten wirken dabei, als wären die Gesichter von Gold untermalt, sogar umrahmt.

Als Künstler ist Niklas Elmehed bisher wenig in Erscheinung getreten. Er verfügt nicht über eine breite Palette von Ausstellungen oder eine Zahl renommierter Rezensionen. Seine Portraits sind Auftragsarbeiten und ohne Zweifel Werke angewandter Kunst. Offiziell werden sie auch nicht als Porträts, sondern als »Illustrationen« vertrieben. Ihr Erfolg besteht in einer klaren und vereinheitlichen Darstellung. Diese Bildsprache ermöglicht es dem Nobelpreis-Team, eine Gleichbehandlung aller Laureat:innen sicherzustellen, während gleichzeitig die Autorschaft und das Copyright geschützt sind. Elmehed fungiert gewissermaßen als Künstler ohne Eigenschaften. Dies ist wichtig. Denn nicht nur die Abgebildeten sollen neutral und wohlwollend dargestellt werden, auch der Autor möge frei von Belastung und unbescholten sein.

Ganz im Gegensatz dazu steht der Fall von Otto Muehl. Muehl wurde wegen Vergewaltigung, Missbrauch und anderer Vergehen rechtmäßig verurteilt, weshalb er als Künstler zurecht umstritten ist. Während der gesellschaftlichen Umbrüche um das Jahr 1968 entwickelte er eine Serie von Siebdrucken, die Prominente in Portraits wiedergeben. Seine Bilder weisen ähnliche ästhetische Merkmale wie Elmeheds Illustrationen auf, wie klare Konturen, reine Farben und eine plakative Wirkung. Allerdings verfolgt Muehl eine völlig andere Absicht. Er versucht nicht, die Porträtierten zu neutralisieren oder gleich zu behandeln. Im Gegenteil, in mehr oder weniger verborgener Selbstbespiegelung reanimiert er in den Porträts die Macht und ihren potentiellen Missbrauch. Muehl malt Figuren wie Mao, Ho Tschi Minh, Prinz Charles oder Moshe Dajan. Er zielt auf das Böse, das Lächerliche und den Popkult der Potentaten. Dabei geht es Muehl vermutlich um die Abgründe, die in ihm selbst schwelen. Sein offenkundiges Ziel ist es, zu irritieren und zu provozieren, während Elmehed darauf abzielt, Bilder zu schaffen, die frei von Widerspruch sind und sich einwandfrei positionieren.

Otto MuehlDas Portrait von Ludwig Wittgenstein, das Muehl im Jahr 1989 anfertigt, ist eine bemerkenswerte Ausnahme in dieser Reihe. Das Bild basiert auf einer bekannten Fotografie des Philosophen und zeigt Wittgenstein in einem Anzug mit offenem Hemd. Die Vorlage ist bereits irritierend, da sie an eine polizeiliche Aufnahme erinnert und Wittgenstein gleichzeitig in einem ermatteten oder resignierten Zustand darstellt. Deswegen erinnert das Foto auch ein wenig an die schwermütigen Selbstbildnisse von Frida Kahlo. Für seine Bearbeitung überträgt Muehl die Fotografie in eine Darstellung von wenigen Konturen. Im Gegensatz zu Elmehed, der ähnliches betreibt, entscheidet sich Muehl allerdings dafür, auf Schatten zu verzichten und stattdessen homogene Farben zur Flächenfüllung zu verwenden: ein helles Cyan für den Hintergrund und kräftiges Rot für Hemd und Haare.

Bereits zuvor porträtiert Muehl Wittgenstein in einem Film mit dem Titel »Back to Fucking Cambridge« aus dem Jahr 1987. In diesem skurrilen Spielfilm spielt der Wiener Aktionist nicht nur auf Wittgensteins Wirkungsort an, sondern präsentiert ihn als Teil einer Satire, die Protagonist:innen der Wiener Jahrhundertwende um 1900 persifliert. In diesem schrillen Werk verkörpert Muehl Sigmund Freud, während Maria Lassnig die Rolle der Anna O. übernimmt. Wittgenstein wird vom Galeristen John Sailer gespielt, der Münchner Maler Gotthard Graubner verkleidet sich als Gustav Klimt, der offensichtlich nicht ohne Wirkung auf Elmehed blieb. Es war ja Klimt, der erstmals Goldapplikationen für private Auftragsporträts einsetzte.

Ferenc KrauszLudwig Wittgenstein ist heute Namensgeber für den wichtigsten Preis für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Österreich, der deshalb auch als »Austro-Nobelpreis« bezeichnet wird. Im Jahr 2002 erhält Ferenc Krausz den Wittgenstein-Preis. Am 3. Oktober 2023, einen Tag nach der Bekanntgabe der Nobelpreise für Medizin, wird Krausz der Nobelpreis für Physik zugesprochen. Elmehed porträtiert den ungarisch-österreichischen Wissenschaftler in einem Hemd, Sakko und einer Krawatte, freundlich zugewandt, mit leicht geschürzten Lippen und dem obligatorischen Goldrand.

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Abbildungen:
Niklas Elmehed: Katalin Karikó, Drew Weissman, Illustration, 2. Oktober 2023
Otto Muehl: Ludwig Wittgenstein, Siebdruck 1989 © Bildrecht, Wien 2023
Niklas Elmehed: Ferenc Krausz, Illustration, 3. Oktober 2023

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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