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Im Westen nichts Neues

Zugegeben, viele kulturpolitische Großbaustellen – der unnotwendige Neubau eines Berliner Moderne-Museums, die Initiative zur (mittlerweile politisch verschleppten) Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das verkorkste Humboldt Forum, die Restitution der Benin Bronzen, die mit dem Kuratorenkollektiv ruangrupa „contemporary“ fehlbesetzte (und in der politischen Nachbearbeitung so richtig zugrunde gerichtete) Documenta – bis hin zu Personalien wie Ex-Berlinale-Leiter Carlo Chatrian hat Kulturstaatministerin Claudia Roth (Die Grünen) von ihrer gestaltungswilligen Amtsvorgängerin Monika Grütters (CDU) geerbt. Roth, als Beauftragte des Bundes für die Kultur-, Medien- und Förderpolitik im Inneren zuständig, findet zudem offenbar kein Ventil für ihren eher aufs Außenpolitische gerichteten Ehrgeiz. Gleichwohl ist bemerkenswert, wie wenig ihr seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2021 gelingen mochte. Anders gesagt, muss schon viel schief gehen, dass sogar ein Martin Scorsese auf dich aufmerksam wird. An der Qualität des deutschen Kinos liegt es sicher nicht.

Auch der Plan für ein Deutsches Fotoinstitut datiert aus Grütters‘ Tagen. Das Thema kam am Montag in Düsseldorf zur Wiedervorlage. Dort stellte Roth nun eine siebenköpfige „Gründungskommission“ vor, nachdem Grütters einst schon ein Expertengutachten samt Machbarkeitsstudie angeschoben hatte, die freilich beide Essen als Standort empfahlen.

Wer Hoffnungen hegte, das bundesfinanzierte Institut könne nach fragwürdiger Vergabe im November 2022 an Düsseldorf mehr werden als ein Trostpflaster für die um ihren Weltkunststatus bangenden „Fotokünstler“ der Stadt, hofft nach der Vorstellung ein bisschen weniger. Dabei wäre Grütters‘ Idee eines „Kompetenzzentrum“ zur Sicherung des „nationalen Kulturerbes“ am Fallbeispiel Fotografie immer noch relevant: Schließlich ist die Pflege des Fotografischen deutschlandweit vielen öffentlichen und privaten Einrichtungen überlassen, der Wildwuchs entsprechend groß – man schaue nur auf das eben neu eröffnete Mogel-Museum Fotografiska Berlin. Auch eine institutionelle Programmatik und künftige Funktionen eines solchen Instituts sah das alte Gutachten schon vor. Über die Standortdebatte gerieten Grundsatzfragen in den Hintergrund: etwa was Fotografie unter der doppelten Klammerung als zum technischen Tod verurteiltes nationales Erinnerungsmedium und nunmehr in der Digitaltechnologie wiedergeborenes bildgebendes Verfahren eigentlich sei.

Solch weit über die Fachwelt hinaus ergiebig, weil kontrovers diskutierten Fragen wischte Roth bei der Vorstellung herrisch beiseite: „Fotografie ist Kunst“, dekretierte sie in bestem Regierungsdeutsch. Es ist weniger die Inkompetenz im Urteil als das grundlos Autoritäre, das umso mehr betroffen macht, wenn Roth damit einzig und allein die Düsseldorfer Linie stützt. Die hat ein Lobbyverein vorskizziert, hinter dem Fotokunst-Promi Andreas Gursky steckt. Er fürchtet sehr zurecht nicht nur das Verblassen seiner großformatigen Farbabzüge, sondern seiner künstlerischen Bedeutung insgesamt.

Der Ausgang zeigt: Lobbyismus lohnt sich. Daher kam bei der Vorstellung das Wort „Kunst“ mindestens so oft vor wie „Fotografie“. Klar, dass mit dem DFI-Vereinsvorsitzenden Moritz Wegwerth und den Chefs der beiden großen Kunstmuseen der Stadt, Susanne Gaensheimer und Felix Krämer, das Kräfteverhältnis im Gremium überdeutlich zugunsten Düsseldorfs ausfällt. Neben Fachexpertise der Restauratoren Katrin Pietsch und Christian Scheidemann sorgt allenfalls Kuratorin Inka Schube vom Sprengel-Museum Hannover für etwas föderales Flair. Fraglich, ob Essen mit Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter im Team befriedet sein wird, zumal ein dort beauftragtes Rechtsgutachten dem Bund „Vergabe-Willkür“ aufzeigt. Wer fototheoretische Fundierung, beim Blick über den rheinprovinziellen Tellerrand hinaus gar ein bisschen Internationalität erwartet? Fehlanzeige. Kein Wunder, wenn die Kulturstaatsministerin der Fotografie höchstselbst die Kunst einbläut, während der abgeschlagene deutsche Kunst- und Kulturbetrieb weiter auf kompetente Kulturpolitik wartet.

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Abbildung: Kulturstaatsministerin Claudia Roth (4. v.r.), die NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft Ina Brandes (4. v.l.) und OB Dr. Stephan Keller (3. v.r.) zusammen mit Mitgliedern der Gründungskommission
© Landeshauptstadt Düsseldorf/Michael Gstettenbauer 

Mehr Texte von Hans-Jürgen Hafner

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