Werbung
,

Parallel Vienna 2023: Kunstmessewandertag

6228 Schritte, eine Distanz von 4,9 Kilometern und 22 erklommene Stockwerke zeigt die Schrittzähler-App des Rezensenten nach einem ersten Besuch der aktuellen Parallel Vienna am Otto-Wagner-Areal in Wien. Zu Beginn muss man vom Eingang zur ehemaligen „Niederösterreichischen Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke“, die 1904 bis 1907 nach den Plänen von Otto Wagner errichtet wurde, erst einmal den Anstieg von der Baumgartner Höhe fast bis zur Kirche am Steinhof überwinden, um die diesjährige Parallel Vienna zu erreichen, die sich in die Pavillons 16, 22 und 24 eingemietet hat Drei bis vier Ebenen pro Pavillon müssen auch noch erklommen werden, wenn man alle Präsentationen gesehen haben will. Mit mehr als 170 Räumen, die von Künstler:innen, Institutionen und Galerien bespielt werden, ist die Parallel die größte Österreichische „Messe“ für zeitgenössische Kunst – wobei der Begriff „Kunstmesse“ bei weitem nicht ausreicht, um die ganze Vielfalt und Buntheit der unterschiedlichen Präsentationen zu erfassen.

Seit der ersten Ausgabe im ehemaligen Post- und Telegrafenamt im Zentrum Wiens, zieht die Parallel durch diverse Leerstandsobjekte wie Bürogebäude, ein ehemaliges Zollamt, und zuletzt Pavillons der ehemaligen Semmelweisklinik. Das weitläufige Otto-Wagner-Areal, das bei Schönwetter auch zu einem Spaziergang einlädt, steht allerdings noch nicht gänzlich leer. Die „Klinik Penzing“, wie sie seit 2020 heißt, beherbergt nach wie vor aktive medizinische Einrichtungen. Bekannt ist das Areal vor allem auch für seine Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus. Damals wurden tausende Menschen in Vernichtungslager abtransportiert und behinderte Kinder dort getötet. Weithin bekannt wurde der Fall des an den Verbrechen beteiligten Psychiaters Heinrich Gross, der im Nachkriegsösterreich als vielbeschäftigter Gutachter vor Gericht sogar prominente Fälle wie die wegen der „Uniferkelei“ Angeklagten Günter Brus, Otto Muehl und Oswald Wiener begutachtete. Ein Mahnmal und eine Gedenkstätte erinnern an die damaligen Grausamkeiten. Auch heute noch ist eine psychiatrische Abteilung am Areal untergebracht und sieht man Patient:innen auf vollvergitterten Terrassen in der Sonne sitzen. Die Parallel Vienna sieht sich daher auch als kultureller und kreativer Gegenpol zur dunklen Geschichte des Ortes.

Neben einem Skulpturenpark unter den hohen Pinien zwischen den Pavillons, kuratiert von Stefan Bidner, zeigen neben den Klassen erweiterter malerischer Raum von Gerhard Richter sowie Video und Videoinstallation von Dorit Margreiter an der Akademie der bildenden Künste Wien, die Landessammlungen aus der Steiermark, Oberösterreichs und Salzburgs Werke junger Künstlerinnen und Künstler. Die Universität für angewandte Kunst ist u.a. mit Studierenden aus der Klasse transmediale Kunst von Jakob Lena Knebel vertreten.

Vierzig Galerien mischen sich unter die knapp 50 Project Statements von Offspaces und kleineren Institutionen. Die Top-Liga der Wiener Galerienszene ist allerdings mit der viennacontemporary ab dem 7. September und dem Eröffnungswochenende des Galerienfestivals curated by voll ausgelastet und mit Ausnahme von Krinzinger Schottenfeld und Hilger Next diesmal nicht vertreten. Internationale Beteiligungen gibt es mit den Galerien J.J. Heckenhauer und Nicole Gnesa aus München, der X Vitamin Gallery aus Belgrad und Sanatorium aus Istanbul.

Das Wichtigste an der Parallel ist aber ohnehin die Rolle als Showcase der jungen Kunstszene Österreichs. Trotz der gar nicht so wenigen Galerien und Offspaces fehlen dem ganzen Land und vor allem Wien immer noch Ausstellungsflächen gerade für junge Künstlerinnen und Künstler, die im Markt erst einmal Fuß fassen müssen. Die Parallel versteht sich in diesem Zusammenhang als Präsentationsmöglichkeit in einem Kunstmarkt-Umfeld, um den Jungen die Chance zu geben, von Kunstsammlerinnen und -Sammlern wahrgenommen zu werden. Laut aktueller Wettervorhersage, werden die kommenden Tage warm und sonnig. Das sollte für viele eine zusätzliche Motivation sein, die Anreise und die kleine Wanderung auf sich zu nehmen.

Mehr Texte von Werner Remm

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Parallel Vienna 2023
05 - 10.09.2023

Otto-Wagner-Areal, Pavillons 16,22,24
1140 Wien, Baumgartner Höhe 1
https://parallelvienna.com/
Öffnungszeiten: 13-20 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: