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Dem Zentrum entgegen

Die zwölfte Ausgabe der Liverpool Biennale fokussiert auf ephemere Momente der Erfahrung, die von der Stadt ausgehen, aber in ihren kolonialen Strukturen verhandelt werden, bei denen das Thema „care“ als grundlegendes Motiv für einen spirituellen Handlungsbedarf dient.

Kuratorin Khanyisile Mbongwa wählte das aus dem Zulu entlehnte Wort „uMoya“ als Titel für ihre Schau, bei der die Werke von 35 Künstler*innen in den etablierten Kunstinstitutionen der Stadt sowie an einigen Satellitenstationen gezeigt werden. Übersetzt hat „uMoya“ eine Fülle von Bedeutungen: Seele, Geist, Atem, Wind, Luft, Klima, etc. Die Ausstellung setzt auf diese stets im Wandel begriffenen Momente einer meist unsichtbaren, aber spürbaren Konsistenz wie etwa den permanenten Wind der Hafenstadt im Nordwesten Englands.      

„Atem“ gilt auch als zentrales Element in Belinda Kazeem-KamiƄskis Installation „Respire (Liverpool)“, die als einzige Arbeit im Kunstzentrum Fact zu sehen ist und mit Hilfe von Phileas realisiert wurde. Hier werden auf mehreren Screens wechselnde und immer wieder auftauchende schwarze Protagonist*innen der Stadt gezeigt, wie sie farbige Luftballons aufblasen, wobei das Atmen als Form der Befreiung angesehen werden muss. Auf kleineren Screens dazwischen zu sehen: „Openings (Red, Black, and Green)“, bei der Fahnen in jenen drei Farben wehen, die für Widerstand und Befreiung der afrikanischen Diaspora stehen. Ein Soundscape von Bassano Bonelli Bassano ergänzt die beindruckende Multimedia Installation.

Ebenso als Mehrkanalinstallation angelegt die Arbeit „Stephen“ von der in London lebenden deutschen Künstlerin Melanie Manchot, die im etwas entlegenen Tabacco Warehouse zu sehen ist. Der der Installation zugrunde liegende und in Auftrag gegebene Film vermischt Realität und Fiktion mit professionellen Schauspieler:innen sowie Laiendarsteller:innen mit Entzugserfahrung. Letztere sprechen für Rollen in einem Film über Thomas Goudie vor, ein Bankangestellter aus Liverpool, der Ende des 19. Jahrhunderts von seiner Bank Geld stahl, um die Schulden seiner Spielsucht zu begleichen. Herausragend hier die Hauptrolle von Stephen Giddings, der spürbar auf psychosoziale Erfahrungen mit seinem einstigen Entzug eingeht.

Die Open Eye Gallery, die als wichtige Fotoinstitutionen der Region gilt, zeigt Werke von drei politisch engagierten Fotograf*innen, die sich den Folgen der Klimakrise und des westlichen Kolonialismus widmen: David Aguacheiro aus Mosambik, Rahima Gambo aus dem Niger und Sandra Suubi aus Uganda. Die Tate Liverpool hingegen versammelt einen installativen Materialmix, der sich auf Geist und Riten kultureller oder indigener Praktiken bezieht und Künstler*innen des afrikanischen Kontinents, der Amerikas, Südostasien, dem Nahen Osten und Ozeanien miteinbezieht. All diese erzählen Geschichten über historisch tradierte Handlungen und Beziehungen, die sehr persönlich ausfallen mögen, als künstlerische Manifestationen jedoch etwas an Schärfe verlieren.

Die Biennale bildet in ihrer geografischen Ausrichtung den Versuch einer ex-zentrischen Betrachtung von Verhältnissen, die sich gegen Formen des Othering richten und ein Pluriversum an verhandelbaren Interaktionsformen suggerieren.     

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noch bis 17. September 2023
--> www.biennial.com/              

Mehr Texte von Walter Seidl

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