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Timisoara, europäische Kulturhauptstadt 2023

Kulturhauptstädte gibt es 2023 drei (neben Temeswar sind dies Veszprem und Elefsina), Biennalen ebenso mehrere. Aber wohl nur Temeswar (bzw Timișoara) hat beides zu bieten. 

Klein Wien, wie die Hauptstadt des Banats liebevoll wegen ihrer vielen Gründerzeit- und Jugendstilbauten genannt wird, hat sich herausgeputzt. Vielerorts ist die Aufbruchstimmung zu sehen. Gebäude, die noch auf eine Kernsanierung warten sind einstweilen temporäre Kunstorte. 

Art Encounters – die Biennale für Contemporary Art (19.05. – 16.07.2023) – My Rhino is not a Myth kuratiert von Adrian Notz zeigte an 15 Ausstellungsorten Werke von 60 Künstlern aus 20 Ländern.  

Das Nashorn, das von Albrecht Dürer 1515 mit einem Holzschnitt, der auf Skizzen eines Künstlerkollegen basiert, verewigt wurde und das 1959 vom rumänisch-französischen Autor Eugene Ionesco geschriebene Buch Rhinocéros, das über das Entstehen von autoritären Regimen handelt und sich in einem ländlichen Dorf zuträgt, sind Vorbilder dieser Biennale. 

Die meisten Künstlerpositionen wurden in der Kommandantur am Freiheitsplatz gezeigt. Carlos Amorales zeigte das farbenfrohe Alphabet seiner Phantasiesprache und Nu mā ochi (The Eye Me Not), einen 40-minütigen Film von 2015 über einen Inuitmythos. Der opiumabhängige Protagonist baut Designs von Kazimir Malevich genauso ein wie Theorien von Joseph Beuys und kontroversielle Texte des chilenischen Schriftstellers Manuel Serrano.
Veronika Hapchenko spielt in ihren Stilleben mit Material - Acryl und Tinte auf Leinwand versus polylactide Vasen. 
Das Hunyadistadtschloss, welches eigentlich die Sammlung des Nationalmuseums des Banats  (Muzeal National al Banatului) beherbergt, ist im Umbau und wurde somit auch in die Biennale eingebunden. 

IRWIN, das slowenische Künstlerkollektiv war neben anderen Künstlern in der Fundatia Art Encounters zu sehen, das im Gegensatz zur Kommandantur und dem Hunyadistadtschloss kernsaniert ist. 
In den ISHO Offices war die Videoinstallation Pickelporno (1992) von Pipilotti Rist zu sehen. 

Die etwas außerhalb der Innenstadt Cetate (der Name bedeutet ursprünglich „Festungssstadt“) liegende Location Faber liegt an der Bega, dem Hauptfluß der Stadt. Alicja Kwade hinterfragt mit ihrem Werk Medium Median (Homo-Mensura) von 2016 mit 24 iPhones die Strukturen der Realität und Gesellschaft.  

Ein ebenso erweiterter Kunstraum ist die ehemalige Straßenbahnremise und -werkstätte STPT Multiplexity. Neben verrosteten Oldtimerstraßenbahnen nagt am Gebäude der Zahn der Zeit. In Wahrheit ist es ein Lost Place! Aber Künstlerinnen und Künstler haben ihre Plätze gefunden. So auch Albert Kaan, der mit seinen versteckten iPads neue Einsichten und Ausblicke eröffnet. 

In Temeswar ist die Straßenbahn immer wieder Thema. In der Stadt gab es bereits ab 1869 die Pferdebahn. Die Nr. 6, eine aus der Innenstadt um selbige führende Linie hat jeden Samstag zwei Sonderfahrten. Carlos Amorales hat Black Cloud in einer Garnitur installiert. Inspiriert von Monarchfaltern sind 4.000 aus Papier gefaltete Kleinskulpturen im Inneren der Straßenbahn angeklebt worden. Die Gebilde bewegen sich während der Fahrt. 

Mit der After Sculpture-Ausstellung soll die gegenwärtige Position der rumänischen Skulptur nach Constantin Brancusi aufgezeigt werden und so bietet die Kulturhauptstadt eine weitere Attraktion. Der in Bukarest lebende rumänische Künstler Dan Vezentan ist einer der teilnehmenden Künstler. Aus geflochtenen Körben, einem traditionellen Trage- und Aufbewahrungsobjekt hat er ein – wie er es ausdrückt – utopisches Erntegerät geschaffen.

Adrian Ghenie, der als einer der wichtigsten Gegenwartskünstler Rumäniens gilt und u.a. von der Galerie Ropac vertreten wird, zeigte in einer von Diana Marincu kuratierten Schau unter dem Titel The Impossible Body neue Zeichnungen und Leinwände. Der 1977 in Baia Mare geborene Künstler lebt in Berlin und Klausenburg (Cluj). Als Ghenie 2015 an der ersten Art Encounters Biennale teilgenommen teilnahm war er auch rumänischer Vertreter an der 56. Biennale in Venedig. 

Die privatgeführte Kunsthalle BEGA lädt zur Ausstellung Different Degrees of Freedom, eine Gruppenausstellung mit vorrangig rumänischen Positionen und Judith Fegerl, deren Aluminiumarbeit Batch  von 2017 als Installation im Hauptraum und Unbraid, ein Video von 2020 in einem Nebenraum gezeigt werden. 

Eine weitere Privatinitiative unterstützt von der Europäischen Kulturhauptstadt Temeswar, vom rumänischen Kulturministerium und auch Österreichischen Kulturforum in Bukarest ist Intersecting Realities. Claudia Schnugg und Andrei Tudose haben im Stadtteil Fabric unweit des Palais Mirbach einen Ausstellungsraum in einer ehemaligen Bar gefunden. Die österreichischen Künstler:innen Anderwald + Grond und Theresa Schubert zeigen Werke in dieser Gruppenschau, die sich dem postdigitalen Zeitalter widmet. 

Die Innenstadt, ist noch teilbefestigt. In der Bastion finden regelmäßig Veranstaltungen statt, so auch vom British Council Circular Catalysts, das Kooperationen von Künstlern, Designern und Handwerkern aus Großbritannien und Rumänien fördert.  

Am 30.06. eröffnete im Nationalmuseum von Temeswar die große Einzelschau Playing Hazard von Romul Nutiu. Joana Grevers, die sich mit ihrer Cetate Arts Danube Stiftung sehr um den Nachlass und die Vermittlung der Werke einsetzt ist Initiatorin der Ausstellung, in der 120 Werke dieses Ausnahmekünstlers gezeigt werden. Als Kuratorinnen konnte man Andreea Foanene und Simona Nutiu Gradoux gewinnen. Romul Nutiu (1932 - 2012) schuf unter dem Ceaucescu-Regime abstrakte und informelle Arbeiten fern der konformen Staatskunst. Von 1957 an wohnte er zudem in Temeschwar, wo er auch regelmäßig an Ausstellungen teilnahm und als Professor an der Kunstfakultät der West University unterrichtete. 

Temeswar ist mit dem umfassenden Kulturprogramm auf jeden Fall – auch nach der Biennale – eine Reise wert. Man sieht hier, wie es gelingt historisches Kulturgut wieder aufzubauen und eine junge, frische Szene, die damit harmoniert zu beleben. 

Wer sich nicht scheut nochmals einige hundert Kilometer zurückzulegen, dem sei auch die Stadt Targu Jiu empfohlen. Neben der Unendlichen Säule hat Constantin Brancusi im öffentlichen Raum auch den Tisch der Stille und das Tor des Kusses auf einer 1,3 km langen Achse im Andenken an die Helden des Ersten Weltkrieges geschaffen. 
Gegen Voranmeldung kann man auch die Danube Arts Fundacio von Joana Grevers besuchen. Prächtig an der Donau gelegen werden neben den permanenten Installationen jeden Sommer Sonderausstellungen gezeigt. Man trifft auch – wie in Temeswar – auf Werke von Stefan Radu Cretu, Albert Kaan, Romul Nutiu und Dan Vezentan. Eine Installation von Constantin Luser, der hier eine Residency hatte ist auf der Terrasse verblieben. 

Hermannstadt (Sibiu), Europäische Kulturhauptstadt von 2007 zeigt im Bruckenthalmuseum eine Kooperation mit der Albertina Wien. 
Wer es klassisch möchte besucht das royale Schloss Peles, in dem Gustav und Ernst Klimt gemeinsam mit Franz Matsch 1883 – 1886 einige Werke für den rumänischen König Karl I gemalt haben, die heute zu den wertvollsten Stücken zählen und ein Geheimtipp sind. 

https://artencounters.ro

https://timisoara2023.eu

Mehr Texte von Iris Stöckl

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